„Impasse Ronsin. Mord, Liebe und Kunst im Herzen von Paris“ ­– Ausstellung im Museum Tinguely in Basel

Die Impasse Ronsin in Paris war hundert Jahre lang ein legendärer Ort der Kreativität für Künstler*innen. Seit den 1970er Jahren gibt es diesen, auch als magisch bezeichneten Ort nicht mehr. Die aktuelle Ausstellung im Tinguely Museum in Basel spürt der einstigen Ateliersiedlung nach, die sich wie eine Insel aus dem 19. Jahrhundert, in der geschäftigen Metropole im Stadtteil Montparnasse gehalten hatte. Als ein benachbart gelegenes Krankenhaus erweitert wurde, war das Ende besiegelt und die Atelierhäuser wurden abgerissen. Nostalgie und Romantik wird mit der Impasse Ronsin verbunden. Sieht man sich die Fotos an, ähnelten die einfach ausgestatteten Ateliers eher Bruchbuden. Die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, keine Bäder, keine Heizung und nur eine Toilette für 37 Häuser. Und dennoch sind es nicht diese Dinge, die im Gedächtnis derer haften, die in den 50er und 60er Jahren dort gearbeitet haben, sondern die außergewöhnliche Intensität des kreativen Austauschs und der künstlerischen Vielfalt. In der Impasse Ronsin konnte Freiheit gelebt werden.
Diese besondere Atmosphäre in einer Ausstellung sichtbar zu machen, ist kein leichtes Vorhaben. Durch verschachtelt angelegte Press-Span-Kojen versuchen die Ausstellungsmacher, den Grundriss der Ateliersiedlung nachzuvollziehen. Zweihundert Werke von über fünfzig Künstler*innen sind ausgewählt worden, die nicht nur die lange Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts umfassen, sondern auch die unterschiedlichsten Stile und Qualitäten. Ein ziemliches Potpourri ist das Ergebnis und führt dem Besucher eine Realität vor Augen, die klarmacht: Von den Vielen, die in der Impasse Ronsin einmal ihr Atelier hatten, sind nur die Wenigsten heute noch bekannt. Zu den Namen, die in die Kunstgeschichte eingegangen sind, gehören Marcel Duchamp, Yves Klein, Jean Tinguely, Eva Aeppli, Niki de Saint Phalle und Marta Minujin. Dann natürlich der geniale Bildhauer Constantin Brancusi, der sein Werk dem französischen Staat vermachte, in der Hoffnung, die Impasse Ronsin damit retten zu können, hatte er doch immerhin 40 Jahre lang dort gelebt, gearbeitet und ist auch dort gestorben. Diese Schenkung nützte für den Erhalt nichts, aber sein Atelier ist heute auf dem Vorplatz des Centre Pompidou als Rekonstruktion wiederaufgebaut und kann besichtigt werden.
Es kamen die Amerikaner Larry Rivers und Robert Rauschenberg in die Impasse Ronsin, auch Max Ernst und Isamu Noguchi waren einige Zeit vor Ort. In dieser Ausstellung können jedoch gerade unter den heute weniger bekannten Namen Entdeckungen gemacht werden. Dazu gehören auch der klassisch arbeitende Bildhauer André del Debbio, der eine eigene Bildhauer-Schule unterhielt und seine Frau Anael Topenot-del Debbio, die Industrieszenen malte. Frauen fanden nach dem Krieg in der Impasse Ronsin ein geistig offenes Umfeld, in dem sie ihre Kunst selbstbewusst entwickeln konnten.Mit Dokumentationen, kleinen Filmchen und Kunstwerken wird die Rolle von Frauen aufgezeigt. Ein Eclat, der 1908 große Aufregung verursachte und mit dem Namen der Impasse Ronsin verbunden blieb, war der nie aufgeklärte Doppelmord, in den maßgeblich eine Frau – Marguerite Steinheil – verwickelt war. All das lässt sich vertiefen in dem umfangreichen Katalog, der nicht nur mit informativen Texten glänzt, sondern mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Abbildungen. Neben den Werkfotografien sind es die zeitgenössischen Porträtfotos der Künstlerschaft in Aktion, die ein lebendiges Zeitbild vermitteln. Wer Lust auf Vorab-Orientierung hat, kann sich online von den beiden Ausstellungskuratoren auf Englisch einführen lassen. Es lohnt sich!

„Impasse Ronsin. Mord, Liebe und Kunst im Herzen von Paris“. Museum Tinguely, Basel. Bis 29.08.2021

Bildquellen

  • Eva Aeppli in der Impasse Ronsin, 1959,: Foto Joggi Stoecklin ©2020/2021 Museum Tinguely, Basel