Im Gespräch: Alexander Hässler, Initiator des Projekts „Kulturgesichter0761 / Ohne uns ist‘s still“

Alexander Hässler
Foto: Felix Groteloh

Die Kulturszene steht seit Beginn der Pandemie vor großen Herausforderungen. Viele große und kleine Häuser haben bereits seit Wochen wieder geschlossen, Soloselbstständige können trotz voller Auftragsbücher ihrer Arbeit nicht nachgehen. Elisabeth Jockers sprach mit Alexander Hässler, Initiator des Projekts „Kulturgesichter0761 / Ohne uns ist‘s still“ über die Ziele der Initiative Kulturgesichter0761, Aussichten für die Zukunft der Kulturszene und politische Möglichkeiten und Versäumnisse.

Kultur Joker: Kulturgesichter ist eine bundesweite Initiative, die für die Wahrnehmung der prekären Situation von Menschen aus der Veranstaltungsbranche, vor und hinter den Kulissen, kämpft. Wo findet das Projekt seinen Ursprung?

Alexander Hässler: Die originale Idee hinter dem Projekt hieß „Ohne uns ist’s still“ und wurde von dem Veranstalterverband in München ins Leben gerufen. Dort haben sich die Veranstalter*innen Anfang Juni zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, wie die damals erlassenen Auflagen für Veranstaltungen umgesetzt werden können. Aus diesem Zusammensitzen hat sich dann die Fotoaktion entwickelt. Um gemeinsam Gesicht zu zeigen und darauf hinzuweisen, dass Konzerte und andere Veranstaltungen unter Einhaltung aller Auflagen wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind. Es geht also auch darum zu zeigen: Hey, wenn Kultur stattfinden soll, dann brauchen wir die Hilfe von Stadt, Land und Bund.
Vor drei Wochen haben wir dann zu dritt, gemeinsam mit Felix Groteloh (Fotografie) und Sarah Schneider (Grafikdesign) das Projekt Kulturgesichter0761 gestartet. Wir haben erst einmal damit angefangen, den Kontakt zu den Leuten aufzunehmen und gemeinsam zu überlegen, welche Kulturschaffenden und Genres wir aufnehmen möchten. Und das Feedback war durchweg positiv, egal ob beim Theater, Klassik, Rock, Pop, Elektronisch, privatwirtschaftlich oder institutionell. Die Resonanzen sind überwältigend. Das zeigt sich auch an unseren Fototerminen. Die 84 Plätze für unseren zweiten Termin im Konzerthaus waren innerhalb von 4 Stunden komplett voll.

Kultur Joker: Dann ist es also ein Projekt von Kulturschaffenden für Kulturschaffende?

Alexander Hässler: Genau, wir möchten zeigen, dass wir Kulturschaffende, von Musiker*innen über Schauspieler*innen bis zu Techniker*innen und Dienstleister*innen, gemeinsam hinter der gleichen Sache stehen. Die Branche hat sich in den vergangenen Monaten so viele Gedanken gemacht, Kultur trotz Coronauflagen zu ermöglichen. Es gibt wirklich viele gute Hygienekonzepte, weil wir natürlich auch keine „Superspreaderevents“ veranstalten wollen. Wir sehen aber auch, wie viel im Privaten passiert: auf Familienfesten, Hochzeiten oder Partys. Dort wo wirklich viel körperliche Nähe stattfindet. Aber das sind keine Konzerte oder Theateraufführungen, wo sich an die strengen Maßnahmen gehalten wird. Das ist einfach nicht korrekt, denn bis jetzt können wir einen hohen Prozentanteil der Infektionsketten noch immer nicht nachvollziehen. Die Kulturbranche dann trotzdem komplett herunterzufahren ist einfach nicht richtig. Deshalb zeigen wir Gesicht. Wir sagen: Der Mensch ist Kultur und damit ist Kultur auch immer systemrelevant. In diesem Kontext kann man also nicht einfach sagen, dass wir komplett auf Kultur und Veranstaltungen verzichten können. Man muss Kultur ermöglichen, auch in diesen Zeiten.

Kultur Joker: Was steckt denn hinter den markanten schwarz-weißen Fotografien?

Alexander Hässler: Wir möchten dadurch die Ernsthaftigkeit unserer Lage transportieren. Mit Kulturgesichter0761 fokussieren wir uns jetzt erstmal auf die Region Freiburg. Wir möchten eine direkte Identifikation mit den Kulturleuten aus dieser Region schaffen. Und gleichzeitig möchten wir darauf aufmerksam machen, dass uns das Wasser bis zum Hals steht. Ich selbst arbeite seit Mai überhaupt nicht mehr. Das bedeutet für mich, dass ich seit 7 Monaten meiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen kann. Und dafür habe ich mich nicht freiwillig entschieden. Ich darf nicht mehr arbeiten und das vergessen die Menschen. Trotz voller Auftragsbücher dürfen wir nicht mehr arbeiten und keiner weiß, wann es weitergeht. Das stellt uns nicht nur vor Planungsschwierigkeiten, sondern wir haben auch keine Einnahmen mehr. Aber dennoch laufende Kosten.

Kultur Joker: Durch das Projekt Kulturgesichter0761 haben Sie in den vergangenen Wochen mit vielen Betroffenen aus der Kulturszene gesprochen. Wie empfinden Sie die Stimmung? Was sind die Nöte und Ängste der Kulturgesichter aus Freiburg?

Alexander Hässler: Das muss man natürlich individuell betrachten. Kolleg*innen, die in festen Häusern arbeiten und Förderungen erhalten, sind permanent damit beschäftigt, Anträge zu schreiben und Gelder für schon bewilligte Projekte umzuschichten. Dort steht man vor einem wahnsinnig großen Verwaltungsaufwand ohne dass letztendlich etwas stattfinden kann. Diese Häuser sind vielleicht finanziell abgesichert, das trifft aber nicht auf Techniker*innen, Dienstleister*innen oder die Gastronomie dieser Häuser zu.
Im privatwirtschaftlichen Bereich sei es der Messedienst, Catering, Ton- und Lichtarbeiten, Grafik und Design; die haben überhaupt keine Aufträge mehr oder wenn nur minimal.Aber genau diese Menschen, die hinter den Kulissen die Konzerte und Veranstaltungen ermöglichen, sind die Lebensader für Künstler*innen und Kultur. Musik und Kultur wird es immer geben, aber welche Qualität Kultur noch haben wird, wenn wir diese Leute vergessen, ist fraglich. Wir brauchen die Sicherheit, dass Kultur irgendwann wieder stattfinden kann und die Menschen, vor und hinter den Kulissen, bis zu dieser Zeit entsprechend unterstützt werden. Wenn das nicht passiert, sind diese Menschen gezwungen sich umzuorientieren und werden später eventuell nicht mehr in den alten Beruf zurückkehren.

Kultur Joker: Denken Sie, dass die Pandemie uns Kulturschaffende näher zusammenbringt? Und welche Pläne haben Sie diesbezüglich für die Zukunft?

Alexander Hässler: Auf jeden Fall. Wenn nicht in so bescheidenen Zeiten wie jetzt wann dann? Wir möchten versuchen, die vielen Initiativen, die sich in den letzten Monaten gegründet haben, zusammenzuschließen, um sich gemeinsam für den Erhalt der Kultur einzusetzen. Denn letztendlich haben wir die gleichen Ziele, egal aus welchem Genre man kommt. Grundsätzlich muss man aber auch sagen: die Kulturbranche wie ich sie kenne, ist wahnsinnig flexibel. Ich bin mir sicher, sobald Veranstaltungen wieder stattfinden können, werden wir alles dafür tun, diese auch zu ermöglichen. Das ist unser Leben und unsere Kreativität.

Kultur Joker: Sie selbst sind Projektleiter bei VaddiConcerts. Als Teil der Musikbranche sind Sie seit Beginn der Pandemie besonders betroffen. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Alexander Hässler: Ich würde mir mehr Initiative von der Stadt Freiburg wünschen. Dass wir nicht wieder endlose Diskussionen über Open-Air-Veranstaltungen führen müssen, sondern auch die Bevölkerung dafür sensibilisiert wird, dass Kultur ab dem Frühjahr, wenn überhaupt, Open-Air stattfinden kann. Dass zum Beispiel auch öffentliche Plätze geöffnet werden, auf denen bis 22 Uhr Veranstaltungen stattfinden dürfen. Natürlich unter der Einhaltung aller Auflagen, aber es müssen endlich Perspektiven für unsere Branche geschaffen werden. Da müssen auch von der Politik Ideen und Hygienestandards kommen, die unsere Arbeit ermöglichen. Und auch die Transparenz der Stadt, wie und wo man Fördergelder beantragen und erhalten kann, muss deutlich größer werden.
Für meine soloselbstständigen Kolleg*innen oder auch Geschäftsführer*innen kultureller Betriebe wünsche ich mir, dass die Politik individuelle Lösungen gemeinsam mit der Branche erarbeitet. Man kann bei uns kein Schema F anwenden und das auf Solokünstler*innen und große Häuser gleichermaßen übertragen. Auch dass Soloselbstständige und kleine Kulturinhaber*innen direkt auf Hartz 4 Niveau runtergesetzt werden ist nicht richtig. Das würde in anderen Branchen ja auch nie passieren. Man hätte zumindest sagen können, dass erstmal das Arbeitslosenniveau I fokussiert wird, denn die Betroffenen hatten ja volle Auftragsbücher und haben nicht schlecht gewirtschaftet.
Ich erwarte mir von der Politik, dass sie für unsere Branche einen Rahmen vorgibt, in dem wir uns bewegen und arbeiten dürfen. Natürlich hat sich die Kultur auch immer selbst reguliert. Das ist auch eines unserer großen Probleme: es gibt keine zentrale Vertretung für die Kultur, wie zum Beispiel die DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband). Wir haben keine Lobby, die für uns kämpft. Aber das versuchen wir jetzt, damit wir gehört und gesehen werden.

Bildquellen

  • Alexander Hässler: Felix Groteloh
  • Die Fotoaktion „Kulturgesichter0761“: Felix Groteloh