Geistreiche Narretei über geilen Geizkragen

Florian Wetter, Molière, Der Geizige, Immoralisten, Freiburg, Theater
Balance zwischen Tragik und Komik: Florian Wetter

Molières „Der Geizige“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten

Eigentlich ist das alles gar nicht zum Lachen: Das einzige, was im Leben des betagten und reichen, aber geizigen Harpagon zählt, ist Geld. Doch gerade dieses hindert ihn daran, ein gutes Leben zu führen. Nicht nur dass er sich gar nichts gönnt; er terrorisiert auch seine erwachsenen und heiratswilligen Kinder. Zudem begehrt er noch die Braut seines Sohnes zur Frau. Das ist tragisch; und darum gerade auch wieder so komisch… und deshalb ein idealer Stoff für Manuel Kreitmeier, der mit den Freiburger Immoralisten Molières Geizkragen-Komödie als Sommer-Open-Air inszeniert.

Dies tut er mit der ihm gewohnten Nonchalance und Spritzigkeit. Als genialer Kunstgriff erweist sich hierbei der übergroße Geldspeicher – eine Reminiszenz an die wohlbekannte Figur des Dagobert Duck –, ein aus Holz gezimmerter alter Kasten, der zugleich als Versatzstück und als Bühne dient, allerdings nur über eine Leiter erreicht werden kann. Eine daran befestigte digitale Anzeige kündet vom beachtlichen Besitz des Geizkragens: Fünf Milliarden, dreihundertneunzig Millionen Taler und neunzehn Kreuzer (5.390.000.000,19). Diese Zahl ist nicht nur Harpagons einziger Lebensinhalt, sondern auch das einzige, was sich im bzw. am Tresor befindet. Und damit doch nur das, was es eben ist: Eine Zahl. Überaus drollig daher dessen Rauf und Runter, Rein und Raus, wenn er den Tresor immer wieder öffnet, um zu sehen, ob noch alles da ist. Denn jeder um ihn herum wird zum potentiellen Dieb und Feind.

Eine Komödie zählt für einen Regisseur oder Schauspieler mit zur größten Herausforderung überhaupt. Doch könnte keiner den Harpagon liebenswerter geben als Florian Wetter; – und bleibt dabei doch glaub-, weil verachtungswürdig, ohne seine Figur zu sehr zu überzeichnen. Damit gelingt dem Mimen die schwierige Balance zwischen Tragik und Komik, Würdelosigkeit und Menschlichkeit. Überzeugend auch Harpagons Mit- bzw. Gegenspieler: Uwe Gilot, der als Sohn Cléante um seine Auserkorene (Christina Beer) kämpft; unterstützt von seiner Schwester Elise (Chris Juliane Meiser), die heimlich Valère (Jochen Kruß) begehrt. Der Diener La Flèche (Sebastian Ridder) wird schließlich den Alten berauben; auch die Kupplerin Frosine (Anna Tomicsek) kennt keine Skrupel, wenn es darum geht die Falschen miteinander zu vereinen, was schließlich der verlorene und wie Deus ex machina plötzlich auftauchende Vater der armen Braut (Daniel Leers / Uli Herbertz) zu verhindern weiß. So hat Harpagon am Ende zwar sein Geld wieder, doch weder Kinder mehr, noch Braut.

Kreitmeier rückte das Stück noch ein wenig näher an unsere Wirklichkeit heran als durch Molière sowieso schon geschehen. Wohlgemerkt aus der Perspektive des Geizigen, der, als die digitale Anzeige plötzlich eine reine NULL ausweist (der Raub besteht allein im Umprogrammieren!), herzzerreißend zu fiepen beginnt. Dabei schaut er den Zuschauern in die Augen, ihnen seine Tragik so unmittelbar und schmerzlich überantwortend, dass sie für einen Moment lang nicht mehr wissen, auf welcher Seite sie eigentlich stehen – und packt sie so mal kurz, aber kräftig an deren eigener Nase.

Das ist sehr lustig! Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Stück bei der Uraufführung, also Mitte des 17. Jahrhunderts, beim Publikum durchfiel, weil sich (bereits damals) der Geiz als gesellschaftliche Tugend und Wirtschaftsfaktor zu etablieren begann. Doch führte dies heute zu weit… Großer Premierenapplaus für die Immoralisten und deren herrlich geistreiche Narretei! Weitere Termine bis 7. September, jeweils 20.30 Uhr, Karten unter: www.immoralisten.de

Friederike Zimmermann