Falsche Träume

Barbara David Bruch inszeniert für die Kleine Bühne des Theater Basel „Tod eines Handlungsreisenden“

Willy Loman ist ein schwieriger Held. Das Ego eines antiken Königs, das Herz eines Kleinkrämers und die finanziellen Mittel eines mäßig erfolgreichen Handlungsvertreters. Und mit 62 Jahren hat Loman fast das Alter erreicht, in dem die Groko bevorzugte Arbeitnehmer in den vorzeitigen Ruhestand schicken will. Wenn am Ende von Arthur Millers Stück „Tod eines Handlungsreisenden“ Loman beerdigt wird, wird auch der amerikanische Traum zu Grabe getragen. Allein das bewirkte schon, dass Millers 1949 uraufgeführtes Stück immer wieder auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen steht. Auch wenn heute der Kapitalismus ein noch unschöneres Gesicht trägt.

In Barbara David Brüeschs Inszenierung für die Kleine Bühne des Theater Basel überragt Dirk Gloddes Willy Loman seine Söhne um Längen. Selbst wenn seine Haltung zu wünschen lässt. Eben erst kam er von einer Tour zurück, man hört quietschende Bremsen als sei in letzter Sekunde ein Unfall verhindert worden, jetzt steht er im Trenchcoat auf dem Gitter eines Schachtes. Es regnet und der Mann ist sichtlich auf den Hund gekommen. Linda (Chantal Le Moign), eine Pflegemaske im Gesicht, befindet sich seit Tagen in innerer Alarmbereitschaft. Wenn die Söhne da sind, ist es besonders schlimm, dann hält ihren Mann nur wenig in der Gegenwart und er beginnt Selbstgespräche mit sich, vor allem mit seinem Sohn Biff und seinem verstorbenen Bruder Ben zu führen. Er ist der einzige, der es zu etwas gebracht hat. Sein Geld hat er in Diamanten gemacht, an denen sicherlich auch in den 40er Jahren Blut klebte. Florian Müller-Morungen ist ganz in Weiß ein verspäteter Hippie mit schweren Goldketten um den Hals, der wie ein schlaksiger Buddha Weisheiten wie aus dem Motivationshandbuch von sich gibt und die hochtrabenden Pläne seines Bruders nicht selten komisch bricht. Die Bühne schließt hinten ein Laufsteg ab, der von einem überdimensionierten stilisierten Diamanten überragt wird, links und rechts wird er von fünf Sternen flaniert, davor befinden sich vereinzelte Wohninseln (Bühne: Damian Hitz).
Ende der 1940er Jahre stellte Arthur Miller an Willy Loman das Drama des kleinen Mannes dar, der an den Aufstieg glaubt, in Wahrheit jedoch nur seine Kredite bedient. In Barbara David Brueschs Inszenierung glaubt man, in ein vergilbtes Familienalbum zu schauen. Da ist die Mutter, der man beim Seniorenaerobic zusieht, die ihren Kummer mit Eis und sehr viel Eierlikör kompensiert und die ihrem Mann vorrechnet, wann die nächste Rate fällig ist. Und die sich von ihrem Mann, den sie wie eine Wölfin vor ihren Jungen verteidigt, bei jeder Gelegenheit über den Mund fahren lässt. Und dann ist da noch die Bostoner Affäre (Joanna Kapsch), die sich ihren Spaß wie Butter aufs Brot schmiert. Da es eben Chantal Le Moign ist, die die Regie derart tief in die Mottenkiste der Frauenrollen greifen lässt, sieht man sie auch als Werbefigur für Streichkäse sowie Waschmittel und als in die Jahre gekommene Cheerleaderin gern. Wenn jemand daran erinnert, dass ein Mensch, der versagt, immer noch ein Mensch ist, dann sie.
Obschon, gerade indem Barbara David Bruesch auf jede Aktualisierung des Stückes verzichtet, rückt die Familie als Gemeinschaft in den Mittelpunkt, in der Werte und Selbstbilder vermittelt werden. Loman ist ein Held, der Schuld auf sich geladen hat. Sicher ist es mehr als kaltschnäuzig, einem Mann mit Anfang 60 zu kündigen, wie es Howard Wagner (Silvester von Hösslin) tut, doch weder Happy, den Lorenz Nufer als einen ständig checkenden Schwächling mit Elvis-Tolle gibt, noch der nachdenklichere Biff (Manuel Bürgin) hatten eine wirkliche Chance ihren Platz im Leben zu suchen. Als Glücksversprechen in die Welt gesetzt, werden die Kinder zu Erfüllungsgehilfen des Traums ihres Vaters. Sie nehmen sich, was ihnen nicht zusteht. Loman verweigert sich, seinem eigentlichen Versagen zu stellen. Dirk Glodde lässt den Zuschauer Anteil haben an den Denk- und Erinnerungsschleifen und es zeigt sich bei dieser knapp zweistündigen Inszenierung, dass „Tod eines Handlungsreisenden“ sehr gut ohne einen Bezug zur Ökonomie der Gegenwart auskommt, es ist schon so gegenwärtig genug.
Weitere Vorstellungen: 3./4./ 27./28. Februar, Kleine Bühne, Theater Basel.
Annette Hoffmann