Eine Geschichte des Scheiterns

„Harry, hol schon mal den Wagen“ spielt Max Frischs „Biografie: Ein Spiel“

Die drei Akteure: Rahel Wölfle, Martin Mayer, Simon Matt

Regisseurin Barbara Zimmermann vom Ensemble „Harry, hol schon mal den Wagen“ hat ein Faible für Klassiker. Dabei fordert ihre Miniaturbühne in Freiburgs kleinstem Theater rigorose Begrenzung und Verdichtung: Mehr wie drei Akteure haben hier kaum Platz, Requisiten gibt es wenige, Kulissen werden per Beamer direkt auf die Wand projiziert.

Um Statik zu vermeiden, muss hier klug inszeniert werden. Dafür sitzt das Publikum quasi in der ersten Reihe, erlebt im besten Falle hautnahes Kammerspiel mit großer Intensität, sozusagen Klassiker- Essenz. Das gelingt auch mit Max Frischs 1968 in Zürich uraufgeführten und 1984 überarbeiteten Komödie„Biografie: Ein Spiel“, wobei Zimmermann beide Fassungen verwoben hat.
Als Spiel im Spiel, mehr abstrakt als wirklich lebensnah, dekliniert Frisch hier ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn man die Uhr zurückdrehen und Entscheidungen von gestern mit dem Wissen von heute noch einmal neu treffen könnte? Hannes Kürmann (Martin Mayer) jedenfalls hat die einzigartige Chance dazu: der todkranke Professor für Verhaltensforschung (welch Ironie) darf seine Vergangenheit verändern und damit seine Biografie. Doch das kapiert das Publikum erst nach und nach. Erst einmal wartet da eine Frau mit Bienenkorb- Frisur stoisch im Sessel, während im Hintergrund Partylärm verebbt und der Gastgeber hundemüde durch die Gegend schlurft (Kostüme: Katja Weeke). Begeistert ist Kürmann nicht, als er die hartnäckige Besucherin entdeckt, schließlich ist es zwei Uhr nachts. Sie wolle nur noch mal seine Spieluhr hören, meint die Fremde, es sei doch faszinierend: immer dieselbe Walze, dieselben Figuren und Gesten – und trotzdem sei man jedes Mal gespannt.
Ein Motiv, dass sich durch diesen Abend ziehen wird. Denn zielsicher landen Kürmann und Antoinette (Rahel Wölfle) im Bett und damit in einer siebenjährigen, unglücklichen Ehe. „Halt!“ unterbricht der Spielleiter (Simon Matt) rüde die beiden Turteltäubchen, schließlich wollte Kürmann doch unbedingt eine Biografie ohne diese Antoinette! Also, noch mal von vorn: die selben Gesten, Gänge, Sätze, lediglich mit winzigen Abweichungen und halbherzigen Versuchen in punkto Distanz und Vernunft. Doch schon wird Kürmann wieder magisch angezogen: Eine Umarmung, ein Kuss – alles wie gehabt. Noch mehrmals wird diese Szene flankiert von vielen Diskussionen und Analysen vor- und zurückgespult, wobei jeder der drei Akteure zunehmend genervt aus der Rolle fällt und Kürmann zwar manche Stellschraube nachbessert, nie aber den Herz- und Angelpunkt. Für die Zuschauer eine komische Laborsituation, die sich mit viel Slapstick quasi live entwickelt.
Nach und nach werden Schlüsselmomente aus Kürmanns Leben aufgerollt: Der Schneeball, der den Mitschüler das Auge kostete. Das perfekte Fahrrad als vollkommenes Glück. Der Selbstmord seiner ersten Frau. Zurück will der liebeskranke Kleingeist aber auf keinen Fall. Schuld, Reue oder Träume sind ihm fremd. Während Antoinette mehr oder weniger als Statistin fungiert, der Spielleiter vor Selbstoptimierungsdynamik nur so strotzt und auch mal Nebenbuhler Egon oder Klinikarzt gibt, bleibt Kürmann im Grunde immer derselbe. Am Ende verlässt ihn Antoinette ohne viel Federlesen, so war auch sein Liebesopfer umsonst. Eine Geschichte des Scheiterns, dank der präsenten Schauspieler mit viel Witz, Tempo und Facettenreichtum gespielt. Heute gäbs dafür Paartherapeuten oder immerhin Pseudo- Dokus.
Weitere Aufführungen: 1./ 7./ 8./14./21./22. 2., sowie 1. 3., jew. 20.30 Uhr, Theater Harrys Depot, Freiburg. Karten: 0761/26877 M. Klötzer