Dirk Rohrbach, Journalist, Autor und Fotograf, im Gespräch

 

Dirk Rohrbach, Journalist, Autor und Fotograf
Dirk Rohrbach, Journalist, Autor und Fotograf

Ein Exot im Land der Autofahrer

Der Journalist, Autor, Fotograf und Arzt Dirk Rohrbach fuhr mit seinem Rad von New York nach Los Angeles. Seine Live-Reportage „Highway Junkie – Mitten durch Amerika“ wird am 7. Februar 2015 um 20 Uhr auf dem 12. MUNDOlogia-Festival im Konzerthaus Freiburg zu sehen sein. Im Interview erzählt er, was ihn bewegt und welchen Reiz das Reisen alleine hat. Mit Dirk Rohrbach sprach Janine Böhm.

Kultur Joker: Herr Rohrbach, was hat Ihre Leidenschaft für Amerika entfacht?

Dirk Rohrbach: Das fing  schon in der Kindheit an. Ich habe im Fernsehen viel über Amerika gesehen, Filme und Serien. Irgendwas war da, das mein Interesse geweckt, das mich sehnsüchtig gemacht hat. Vor 25 Jahren war ich dann zum ersten Mal in Amerika an der Westküste und war so begeistert, dass ich wusste, da muss ich noch öfter hin. Seitdem sind es 40 Reisen geworden.

Kultur Joker: Sie sind mit dem Rad fast vier Monate quer durch die USA gefahren. Was hatten Sie an Gepäck dabei?

Dirk Rohrbach: Ich hatte zur Dokumentation viel technisches Equipment dabei, Laptop, drei Kameras, meine Hauptkamera ist eine Canon 5D, eine 50D als Backup Kamera und eine Kompaktkamera, drei Objektive, Akkus, Speicherkarten, Aufnahmegerät für Interviews. Außerdem Campingausrüstung, also Zelt, Schlafsack, Isomatte, Wechselkleidung und Proviant. Es gibt zwar an den Highways normalerweise genug Möglichkeiten einzukaufen, zwischendrin hatte ich aber auch ein paar Passagen, wo ich für ein, zwei Tage Essen und Wasser mitnehmen musste. Das hat dann dazu geführt, dass bis zu 50 Kilo Gepäck am Fahrrad verstaut waren.

Kultur Joker: Haben Sie sich auf die Reise speziell vorbereitet?

Dirk Rohrbach: Geschadet hätte es sicher nicht, aber ich dachte mir, das ist ja kein Rennen. Ich fahre am Anfang, wenn ich noch nicht so fit bin, langsamer und kürzere Etappen und wenn ich dann in den Flow so richtig reinkomme, nach zwei, drei, vier Wochen, kann ich auch 100 oder 150 Kilometer am Tag anpeilen. Am Ende der Reise war ich dann so fit wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Kultur Joker: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie Ihr Ziel erreicht hatten?

Dirk Rohrbach: Es war eine Achterbahn der Gefühle. Ich hatte mir den Pacific Coast Highway in Kalifornien als Zielgerade ausgesucht. Da war ich schon mal auf einer anderen Radtour, der ist wunderschön und genau das Richtige für die letzte Etappe. Diese grandiose Landschaft, die raue Küste, das Meer, ein Traum. Gleichzeitig herrschte wahnsinnig viel Verkehr, es war Wochenende. Ich war vorher in der Wüste, in der Einsamkeit und fühlte mich dann ein bisschen überfordert. Mit jedem Kilometer rückte das Ende näher und dann musste ich irgendwie Abschied nehmen von dieser Reise, was viel Wehmut ausgelöst hat. Am Ende war es nicht nur triumphal, am Santa Monica Pier zu stehen und zu wissen, ich habe mein Ziel erreicht. Ich wollte lieber wieder zurück auf die Straße.

Kultur Joker: Sie sind mit einem Containerschiff nach New York gefahren, warum nicht mit dem Flugzeug geflogen?

Dirk Rohrbach: Ich wollte einfach entschleunigt reisen und auch der Seele Zeit geben anzukommen. Und zum anderen fand ich die Idee spannend, diese Reise tatsächlich vor der Haustür zu beginnen, also in Hanau, meiner Heimatstadt, zu starten und über die Flusstäler nach Bremerhaven zu radeln und dort eben auf das Schiff zu steigen, das mich dann in zwei Wochen übers Meer bis nach New York schipperte.

Kultur Joker: Wie war das Leben an Bord?

Dirk Rohrbach: Leider konnte ich nicht als Hilfsmatrose mitarbeiten, wie ich mir das in meiner romatischen Vorstellung mal überlegt hatte. Dafür bekam ich eine große Kajüte ganz oben mit Meeresblick. Ich habe viel gearbeitet, mein Buch, „Gebrauchsanweisung für Alaska“ fertig geschrieben, Bilder bearbeitet, meine Ausrüstung gecheckt, viel gelesen, viel geschlafen und viel gegessen, man wird da rund um die Uhr mit ganz viel schlechtem Essen versorgt! Wir sind dann morgens gegen 4 Uhr in New York angekommen, ich hatte mir den Wecker gestellt, schaute aus dem Bullauge und das erste was ich sah, war die Freiheitsstatue im Lichtkegel angeleuchtet. Die Sonne ging langsam hinter der Skyline von New York auf. Schöner hätte man es nicht inszenieren können.

Kultur Joker: Wie viele Tage braucht man, um aus New York mit dem Fahrrad herauszukommen?

Dirk Rohrbach: Ich war vorher noch nie in New York, weil ich immer Angst hatte vor der großen Stadt. Diesmal wollte ich mich meinen Ängsten stellen. Ich bin vom Containerhafen in Newark erstmal 40 km nach Queens geradelt, wo ich eine Freundin besucht habe. Raus aus der Stadt ging es dann ein paar Tage später mit der Fähre von Manhattan aus in einer Stunde nach New Jersey und von dort kann man dann gleich richtig aufs Land hinausfahren. New York ist wesentlich überschaubarer als ich mir das vorgestellt hatte. Er hat mich begeistert, weil jeder Stadtteil seinen eigenen Charme hat.

Kultur Joker: Wo haben Sie unterwegs geschlafen?

Dirk Rohrbach: Ich habe versucht, so oft es ging zu zelten, auf öffentlichen Zeltplätzen. Freunde habe ich auch besucht. Es gibt außerdem eine tolle Plattform, www.warmshowers.org, da sind Radfahrer weltweit vernetzt. Man erstellt ein Profil von sich, schaut auf der Karte nach, wo der nächste Gastgeber ist und nimmt per Mail oder Telefon Kontakt auf. Und mit ein bisschen Glück gibt es dann neben einer warmen Dusche auch ein warmes Essen und manchmal auch ein Bett und natürlich Gesellschaft.

Kultur Joker: Was war Ihre spannendste Begegnung?

Dirk Rohrbach: Da kommt mir ein griesgrämiger, schrulliger Künstler in den Sinn, der aus Altmetall Skulpturen gefertigt hat. Er hat sich beklagt, dass viele Leute ihr Leben vergeuden, weil sie niemals einen eigenständigen Gedanken fassen und fragte sich, warum überhaupt leben, wenn man nichts Kreatives erschafft. Toll war auch die Begegnung mit Joanne Cash, der kleinen Schwester von Johnny Cash, die mir von der gemeinsamen Kindheit erzählt hat und wie die Karriere von Johnny begann. Und dann habe ich immer wieder Menschen getroffen, die Schicksalsschläge gar nicht so sehr als Enttäuschung wahrgenommen, sondern mehr als Möglichkeit und Chance gesehen haben. Ein Biobauer in der Wüste von Utah beispielsweise.

Kultur Joker: …ein Biobauer in der Wüste? Kann man in der Wüste etwas anbauen?

Dirk Rohrbach: Ja, der kann da was anbauen, weil es einen Fluss gibt, der die Bewässerung ermöglicht. Damit trotzt er dem kargen Land, leckere Salate, Gemüse und Obst ab. Im letzten Jahr spülten sintflutartige Regenfälle einen halben Meter Sand und Schlamm auf seine Felder. Es wird lange dauern, sich davon zu erholen. Aber er lässt sich weder entmutigen noch frustrieren. Im Gegenteil, er sieht diese Herausforderung als großartige Möglichkeit, als Persönlichkeit zu wachsen und seinen Charakter zu formen. Diese Gelassenheit und die Fähigkeit, auch unter schwierigen Umständen Chancen zu sehen, fand ich sehr inspirierend.
Kultur Joker: Diese Gelassenheit, ist das etwas typisch Amerikanisches? Was unterscheidet uns Deutsche von den Amerikanern?

Dirk Rohrbach: Klischees sind schwierig und ich versuche sie immer zu hinterfragen, aber was mir aufgefallen ist und deshalb zieht es mich auch immer wieder nach Amerika, ist dass die Amerikaner gerne groß träumen. Ich habe das Gefühl, dass wir Deutsche eher nach Problemen als nach Lösungen suchen. Wir überlegen, was schief gehen könnte und lassen eine Idee im Zweifel lieber wieder fallen, während der Amerikaner sagt, lass mal schauen, welche Optionen wir haben und wenn das eine nicht geht, wird etwas anderes ausprobiert. Diesen Abenteuer- und Pioniergeist spürt man dort noch deutlich. Sich auf etwas einzulassen, im Moment zu leben und nicht zu sehr an der Vergangenheit zu hängen und auch nicht immer nur in die Zukunft zu schauen. Es kommt sowieso oft anders, als man denkt.

Kultur Joker: Was war die größte Herausforderung der Reise?

Dirk Rohrbach: Am Anfang lagen gleich die Appalachen auf meinem Weg, ein mächtiges Gebirge, dass sich von Nord nach Süd erstreckt, über das ich auf steilen Straßen quer drüber musste. Da war ich auch noch nicht so fit, die Etappen blieben kurz und ich habe ziemlich geschnauft. Mein Körper wurde mit der Zeit immer trainierter, und als ich in den Rocky Mountains war, wo es langsam ansteigend in die Höhe ging, habe ich das nicht mehr als so schlimm empfunden. In Nevada habe ich mich bewusst dazu entschieden, auf Amerikas einsamster Straße zu fahren. Der Highway 50 ist deshalb so einsam, weil es dort über eine Strecke von 600 km nur drei kleine Örtchen gibt. Ich radelte dort durch das Great Basin, ein riesiges Trockengebiet, das sich in der Hochwüste bis zu den kalifornischen Bergen erstreckt, wo ein Bergkamm nach dem anderen auf dem Weg liegt. Du weißt schon, wenn du da vorne bergab rollst, geht es gleich danach wieder bergauf und das sorgt für Demut. Du kommst dir dann so klein vor. Aber gleichzeitig ist die Landschaft so gigantisch, so wunderschön. Das war eine ganz tolle Erfahrung, vielleicht sogar das Highlight der Reise.

Kultur Joker: Sie waren alleine unterwegs. Was macht den Reiz des alleine Reisens aus?

Dirk Rohrbach: Ich bin eigentlich immer alleine unterwegs. Ich bin über zweieinhalb Monate mit einem selbstgebauten Kanu aus Birkenrinde den Yukon entlang gepaddelt, von den Quellseen bis zum Beringmeer. Vor 10 Jahren habe ich Amerika mit dem Fahrrad umrundet, da war ich fünf Monate alleine unterwegs. Ich reise meistens alleine, weil ich das Gefühl habe, dann sind die Begegnungen unterwegs viel intensiver.

Kultur Joker: Sie sind Arzt. Hat Ihnen Ihr medizinisches Wissen auf Reisen genutzt, beispielsweise beim Fahren unter sengender Sonne bei 50 Grad? Das kann doch schnell gefährlich werden, oder?

Dirk Rohrbach: Da muss man den Elektrolythaushalt ein bisschen ausgleichen, aber das weiß glaub ich jeder, der Erfahrung hat im Radfahren. Da braucht es den Mediziner nicht. Ich bin auf meinen Reisen echt gesegnet, was die Gesundheit angeht. Keine Erkältung, nichts. In der Hitze und bei starker Sonneneinstrahlung ist der Sonnenschutz natürlich extrem wichtig. In Utah in der Wüste, als ich bei 47 Grad Grad runter zum Colorado River geradelt bin, war dann das Trinken das Hauptthema und den Salzhaushalt nach dem Schwitzen wieder auszugleichen, sonst gab es Krämpfe in der Nacht. Also habe ich literweise isotonische Sportdrinks getrunken und viel salziges Trockenfleisch und Cracker gegessen.

Kultur Joker: Wie haben die Menschen auf Sie reagiert, wenn Sie durch Dörfer und kleine Städte geradelt sind?

Dirk Rohrbach: Du bist natürlich schon ein Exot, wenn du im Land der Autofahrer mit dem Fahrrad unterwegs bist. Es gibt zwar auch andere Fernradler, die meist Touren der Adventure Cycling Association folgen, einem Verband, der Radrouten in Amerika zusammenstellt. Ich bin unwissentlich auf einer dieser Fernradrouten gefahren, das sind keine Radwege sondern kleine Highways auf denen die Radler unterwegs sind, und da trifft man sich gelegentlich. Aber ansonsten bin ich alleine mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. In den kleinen Ortschaften bin ich oft angesprochen worden. Die Menschen wollten wissen wo ich hinfahre, ob ich Hilfe brauche und haben mich zu sich eingeladen.

Kultur Joker: Sind sie in Amerika schon einmal an einen Ort gekommen, an dem Sie sich hätten vorstellen können, wieder sesshaft zu werden?

Dirk Rohrbach: Nashville. Die Stadt ist für mich schon so was wie eine zweite Heimat geworden. Ich bin dort sehr oft gewesen und habe da sogar mal ein Haus gekauft, aber nie darin gewohnt. Ich hatte es vermietet und dachte, vielleicht wäre das ja mal ein Ort, wo ich mich niederlassen will. Als die Mieter aufgehört haben die Miete zu zahlen, habe ich es wieder verkauft. Im Moment ist Alaska für mich der Ort der Sehnsucht,  aber dann gibt es da wieder so viele Reisepläne und eigentlich ist es gerade schön, so wie es ist.

Kultur Joker: „Die Welt mit anderen Augen sehen!“ lautet das Motto der 12. MUNDOlogia, auf der Sie zu Gast sind. Hat  sich durch Ihre vielen Reisen nach Nordamerika der Blick auf die USA verändert?

Dirk Rohrbach: Der hat sich schon verändert. Ich verbringe ja mindestens die Hälfte des Jahres in Amerika. Den Sommer über bin ich dort, im Winter dann in Deutschland. Wenn ich hier bin, dann toure ich, zeige Vorträge und teile meine Erlebnisse und wenn ich in Amerika bin, dann sammle ich Geschichten. Dann ist mein Truck mein Zuhause oder mein Fahrrad und das Zelt. Dann fallen mir manche Dinge auf, die bei kurzen Aufenthalten vielleicht keine Rolle spielen. Bestimmte Mentalitätsaspekte oder wenn es um Obrigkeitshörigkeit geht. Wenn Uniformträger in Amerika versuchen, ihren Job zu verwalten, dann hast du das Gefühl, das sind die schlimmeren Bürokraten als die deutschen Beamten. Ich bin auch manchmal über politische Entwicklungen schockiert oder manche Engstirnigkeit, die mir am Anfang vielleicht nicht so bewusst war, aber ich finde es nach wie vor sehr inspirierend, mit den Menschen dort in Kontakt zu kommen. Sie begeistern mich jedes Mal aufs Neue mit ihren Geschichten, ihrer Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft.

Kultur Joker: Gibt’s schon Pläne fürs nächste Reiseabenteuer?

Dirk Rohrbach: Ja, gibt es. Wir waren diesen Sommer noch einmal auf dem Yukon und haben meine Reise im Birkenrindenkanu bis zum Beringmeer für arte verfilmt. Der Film wird kommenden Sommer ausgestrahlt und wenn’s gut läuft, würden wir gerne auch die Highway-Junkie-Reise verfilmen. Und dann ist irgendwann Alaska im Winter dran.

Kultur Joker: Wir danken Ihnen für das Gespräch

Ein Gedanke zu „Dirk Rohrbach, Journalist, Autor und Fotograf, im Gespräch

  • 18. Juni 2016 um 22:53 Uhr
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    Inspirierend und erfrischend. Jemand der seine Traeume lebt und mit anderen teilt.

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