„Die Welt ist nicht so, wie sie ist“

Das Freiburger Ensemble Aventure feiert sein 30-jähriges Bestehen

Georg Rudiger sprach mit dem künstlerischen Leiter Wolfgang Rüdiger über ein singendes Gartentor und andere Hörabenteuer in der Neuen Musik.

Kultur Joker: Die drei Festkonzerte zum 30-jährigen Bestehen des Ensemble Aventure liegen hinter Ihnen. Wie lief das Festivalwochenende?

Wolfgang Rüdiger: Großartig. Wir wollten an dem Wochenende die ganze Bandbreite des Ensembles zeigen – was Ästhetik, Besetzung aber auch die Art der Präsentation angeht. Das erste, von der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung unterstützte Konzert stand unter dem Motto „Räume sprengend – Klangskulpturen und Konzertinstallationen“ und präsentierte vier Uraufführungen. Es begann am Gartentor der Elisabeth-Schneider-Stiftung. Carola Bauckholt bezog es in ihre Komposition mit ein.

Kultur Joker: Quietscht es denn?

Wolfgang Rüdiger: Es singt, es klingt. Es entfalten sich spektrale Klangwelten, wenn man einmal richtig zuhört. Das wurde mit Klängen von Klarinette, Horn, Violine und Kratzgeräuschen am Fenster kombiniert. Jeder Besucher wurde auf diese Weise musikalisch im Garten empfangen. Ziel war es auch, die Zuhörer für den Abend zu öffnen. Neue Musik soll ja auch für die Klänge des Alltags sensibilisieren: als Schule der Wahrnehmung.

Kultur Joker: Wie ging es weiter?

Wolfgang Rüdiger: In Mark Bardens Konzertinstallation „Alam“ (Schmerz) für Ensemble und Elektronik konnte sich das Publikum in unserem Konzertsaal im Kellergewölbe zwischen den einzelnen Instrumentalgruppen bewegen. Der Dialog der Kulturen, für den unser Ensemble auch steht, drückte sich hier mit dem arabischen Gedicht aus, das die Grundlage der Komposition ist. In Martin Schüttlers „Wir sind frei“ wurden Alltagsszenen musiktheatralisch aufgeladen. Mesias Maiguashca „del aire, de la madera y del metal“ setzte ein traditionelles Bläserquintett in Beziehung mit Objekten, die von einem Schlagzeuger zum Klingen gebracht wurden. Das Nachmittagskonzert am Folgetag präsentierte sieben Spots; im Abendkonzert spielten wir Schlüsselwerke von uns vertrauten Komponisten wie dem in der Nazizeit verfemten Erwin Schulhoff, den wir in den späten 80er-Jahren wiederzuentdecken halfen, und Nicolaus A. Huber. Sein „Air mit ‚Sphinxes‘“ aus dem Jahr 1987 war das allererste Werk, das wir auf CD einspielten.

Kultur Joker: 30 Jahre Ensemble Aventure sind auch ein Grund zurückzuschauen. Was hat sich verändert, was ist geblieben?

Wolfgang Rüdiger: Die Abenteuerlust, in unbekanntes Terrain vorzustoßen, ist sicherlich geblieben. Einige Konzertbesucher meinten auch, wir seien so frisch wie am Anfang. Wir fühlen uns auch nicht alt. Das Ensemble hat sich inzwischen schon verjüngt. Für unsere Schlagzeugerin Victoria Ifrim ist Nicholas Reed gekommen. Walter Ifrim, auch er ein Gründungsmitglied, wird am Ende der kommenden Saison von der Klarinettistin Andrea Nagy abgelöst. Und auch ich selbst mache mir schon Gedanken um meine Nachfolge. Inhaltlich kommen durch die neuen Mitglieder auch neue Impulse ins Ensemble. Das Stück von Mark Barden beispielsweise hat Nicolaus Reed ins Spiel gebracht. Auch unsere Pianistin Akiko Okabe hat mehr künstlerische Verantwortung übernommen und plant für uns gerade eine Japanreise. Die Pluralität innerhalb der Neuen Musik ist sicherlich viel größer geworden, was unsere Aufgabe nicht leichter macht. Die Tendenz geht zu Konzeptprogrammen – auch in Verbindung mit anderen Künsten.

Kultur Joker: Schüler und Studenten haben zu Ihren Konzerten freien Eintritt, was sehr ungewöhnlich für das Freiburger Konzertleben ist. Kommen sie denn?

Wolfgang Rüdiger: Das ist unterschiedlich. Manches Mal schauen Schüler und Studenten von Hochschulkollegen vorbei, informiert von unserer neuen Bratschistin Sylvie Altenburger, die ja Professorin an der Freiburger Musikhochschule ist. Massen sind es nicht. Wir kommunizieren das auch nicht offensiv, sondern schreiben es auf die Plakate.

Kultur Joker: Sie bieten schon lange Vermittlungsprojekte für Kinder und Jugendliche an. Was möchten Sie damit erreichen?

Wolfgang Rüdiger: Ein Bewusstsein für die Gegenwart schaffen. Wir möchten die Kreativität der Kinder fördern. Und zeigen, dass sie selbst aktiv werden können. Die Welt ist nicht so, wie sie ist. Regeln können zur Disposition gestellt werden – in der Musik und in der Gesellschaft. Auch das Präsentieren ist wichtig. Etwas Eigenes machen und dies dann einer Öffentlichkeit vorstellen. Das stärkt auch das Selbstwertgefühl der Jugendlichen.

Kultur Joker: Was haben Sie vor im 31. Jahr des Ensemble Aventure?

Wolfgang Rüdiger: Wir stellen am 20. September zur Saisoneröffnung die lateinamerikanische Komponistin Graciela Paraskevaídis mit einem Porträtkonzert und einer CD-Produktion vor. In der letzten Saison waren wir zweimal in der Ukraine – zwei Werke haben wir dort in Auftrag geben. Am 13. Januar 2017 erfolgen die Uraufführungen. Eine Konzertreise nach Kolumbien und Venezuela ist angedacht. Auch für 2018 gibt es schon Pläne. Da thematisieren wir 50 Jahre 1968. Und stellen uns die Frage, was von dem revolutionären Geist der Studentenbewegung noch geblieben ist.

Kultur Joker: Herr Rüdiger, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen dem Ensemble Aventure noch viele, viele Jahre der kreativen Musikvermittlung.

Infos: www.ensemble-aventure.de

Bildquellen

  • IMG_20100515_105710: Ensemble Aventure