Die dunkle Seite des Narren

Thomas Krupa inszeniert in Freiburg „Rigoletto“ als Geschichte eines Psychopathen
Rigoletto ist schon da, bevor ein Ton erklungen ist. In schwarz-rotem Clownskostüm, aber mit todernster Miene kommt er auf die Bühne und tritt vorsichtig in den Scheinwerferkegel.
In der Hand hält er eine Posaune. Sein Blick ist wirr. Dann hebt er das Instrument an – und aus dem Orchestergraben ertönt das Vorspiel in kalter Präzision. Regisseur Thomas Krupa hat Giuseppe Verdis Oper ganz auf die Titelperson ausgerichtet, die am Freiburger Theater Züge eines Psychopathen zeigt. Und in Juan Oroczo jemanden gefunden, der mit seinem mächtigen, aber nie dröhnenden Bariton besonders die dunkle Seite des Narren offenbart: besitzergreifend in der Liebe zu seiner Tochter, verletzend gegenüber seinen Mitmenschen. Drei weiße, spießige Fertighäuser stehen auf der Bühne. Zwei davon sind derangiert, als habe sie ein Tsunami weggespült (Bühnenbild: Simeon Meier). In einem solchen hat Rigoletto das Zimmer seiner von ihm eingesperrten Tochter Gilda eingerichtet, das mittels Drehbühne in den Vordergrund rückt. Der Raum ist beklemmend: ein Bett, eine Toilette, ein Waschbecken, keine Fenster, überall Puppen und Kuscheltiere. Man denkt an das Verlies einer Natascha Kampusch, man denkt an eine junge Frau, der die Jugend gestohlen wurde. Aleksandra Zamojska ist dieses zerbrechliche Mädchen. Ihr lyrischer Sopran berührt besonders in den leisen, intimen Passagen. Leider intoniert die Sängerin am Premierenabend immer wieder zu hoch. Und wenn sie sich dann doch einmal zu dramatischen Höhen aufschwingen müsste, dann zieht sie zurück – und die Stimme bricht. Als Figur bleibt diese fragile, in bunte Kleider gesteckte Gilda (Kostüme: Sabina Moncys) aber in Erinnerung. Gilda wird nicht mit Gewalt entführt, sondern geht freiwillig mit in die Freiheit, wenn die lebendig gewordenen Puppen die Tür ihres Gefängnisses öffnen. Den Tod durch den Auftragskiller Sparafucile (mit mächtig bedrohlichem Bass und komischer Perücke: Jin Seok Lee) erleidet sie in ihrem Kinderbett – der Kreis schließt sich.
Wenn man eine Geschichte so zugespitzt erzählen möchte wie Regisseur Thomas Krupa es tut, dann braucht man eine sehr gute Personenführung und glaubwürdige Darsteller. Beides vermisst man zu häufig am Premierenabend. Besonders Mario Sofroniou als Herzog wirkt auf der Bühne so unbeholfen, als habe ihm der Regisseur gerade erst erklärt, was er tun soll. Und vielleicht war es auch so, da der für die Premiere vorgesehene Fausto Reinhart nur als Zweitbesetzung im Programmheft erscheint.
Meistens steht der nicht mehr als solide singende Tenor, der kaum eine Gesangslinie entwickelt, breitbeinig auf der Bühne herum und zeigt ein paar Operngesten, wenn er nicht gerade Monterones Tochter (Kristina Malyseva) an den Haaren über den Boden zieht. Man nimmt Sofroniou weder den jugendlichen Liebhaber noch den grausamen Frauenverächter ab. Auch den Chor-szenen fehlt die Fokussierung, um dieses Kammerspiel anzuheizen – und mitunter das richtige Timing. Der höfische Ball zu Beginn des ersten Aktes ist in Freiburg eine peinlich klischeehafte Proletenparty in Unterhosen. Andere Szenen gelingen bei diesem seltsam doppelgesichtigen „Rigoletto“ wiederum besser wie das Aufeinandertreffen der als Todesbotin auftretenden Maddalena, der Sally Wilson dunkle Farben und große Präsenz schenkt.
Die einzige echte Konstante an diesem Opernabend ist das Philharmonische Orchester Freiburg, das von den schweren Posaunenklängen des Vorspiels bis zum verklärten Streicherklang der Schluss-Szene die ganze emotionale Bandbreite der Musik ausschöpft. Generalmusikdirektor Fabrice Bollon entwickelt mit dem Orchester einen trocken-federnden Verdiklang, der punktgenau zuschlagen kann, aber auch zu trösten vermag – mit knackigem Blech und zartem Streicherton, mit großem Pathos und einem guten Gespür für Rubato. Und so wird dieser „Rigoletto“ doch noch zu einem spannenden Musiktheaterabend, der vielschichtiger ist, als es die Regie vorgeben will.
Weitere Vorstellungen: 9./ 13./27.4. 4./17./19.5., 7./9./29.6., jew. 19.30 Uhr. Theater Freiburg Georg Rudiger