Kunst

Den kreativen Geist kitzeln: Die Kunsthalle Messmer zeigt Werke des 7. Internationalen andré-evard Preises – in Riegel können derzeit Positionen von 101 Künstler:innen entdeckt werden

Den Zugang zu modernen Kunstformen zu finden, fällt nicht allen leicht. Gelegentlich wird die Frage nach Technik, Sinnhaftigkeit und Bedeutung gestellt. Vergessen wird dabei, dass Kunst nicht zwangsläufig die Realität abbilden muss – im Gegenteil. Manchmal, wenn man Glück hat, entführt eine Ausstellung in fremde Welten und lädt dazu ein, der eigenen Fantasie zu folgen. So ähnlich verhält es sich auch mit der konkreten Kunst. Sie maßt sich nicht an, die Realität zu abstrahieren, vielmehr fordert sie das reine Sein des Werkes heraus. Zugrunde liegen ihr – zumeist – mathematisch-geometrische Grundlagen und eine gewisse Rebellion gegen das Establishment der Kunstwelt. „Die ureigene Idee der Kunst ist ihre Gegenstandslosigkeit“, wie Wassily Kandinsky einst so passend beschrieb.
André Evard (1876-1972) gehörte nicht immer zu den großen Namen der Kunst. Der Schweizer gilt heute als Wegbereiter, der bereits 1913 in seinen Werken abstrakte Formen aufgreift und diese mit den Jahren in systematische Kompositionen der konkret-konstruktiven Kunst weiterentwickelt. Wo anfänglich noch das zarte Blütenblatt einer Rose zu erkennen ist, werden die Motive in späteren Werken ungegenständlicher und auf die Form allein reduziert.
Kein Wunder, dass die Kunsthalle Messmer dem Künstler einen ganzen Preis gewidmet hat – nicht, weil er zuvor den großen Kanon der Kunsthistorie anführte. Vielmehr entdeckte Kunstsammler Jürgen Messmer „zufällig“ ein Werk des Künstlers vor vielen Jahrzehnten. Diese Entdeckung, so verriet er einst in einem Gespräch mit dem Kultur Joker, habe damals unter anderem seine Begeisterung für die Kunst entfacht. Ein Funke, aus dem später eine der angesehensten Kunstsammlungen der Region entstehen sollte. Mit dem Internationalen andré-evard Preis zeigt die Kunsthalle Messmer bereits zum siebten Mal Positionen zeitgenössischer Vertreter:innen der konkret-konstruktiven Kunst. Aus über 500 Einsendungen hat das Team der Kunsthalle eine eindrucksvolle Schau von 101 Künstler:innen zusammengestellt. Eines sei vorweg verraten: Wer bislang nicht viele Berührungspunkte zum Konkret-Konstruktiven hatte, wird in Riegel aus dem Staunen nicht herauskommen.
Formen, die die Realität erweitern, unsere Wahrnehmung herausfordern und den kreativen Geist kitzeln, zeigen sich in Malerei, mehrdimensionalen Wandobjekten und Skulpturen. Da ist das Werk des in Berlin lebenden Künstlers Scharein: „Raumdrehung“ jagt den Betrachtenden einen wohligen Schauer über den Rücken. Harmonie und ein tiefes Farbverständnis, gepaart mit technischer Raffinesse, die selbst dann nichts einbüßt, wenn man wenige Millimeter vor dem Werk steht. Kein Punkt ist falsch gesetzt, kein Übergang harsch. Man möchte in die warmen Farben eintauchen und entdecken, was sich dahinter befindet. „Raumdrehung“ wirkt wie der Zugang zu einer anderen Realität und eröffnet das Verständnis für diese besondere Form der Kunst.
Frank Altmann lässt einen hingegen schmunzeln. „Versuchsanordnung, um herauszufinden, was Spatzen von der Moderne halten“ wirkt wie die konkrete Wiederentdeckung des Vogelhauses. Das Wandobjekt vereint geometrische Formen zu einem Heim für Spatzen – ob der Spatz nun ein Vogel ist oder die Interpretation des Betrachtenden, sei einmal dahingestellt.
Wie man es von der Kunsthalle Messmer kennt, finden auch die Werke dieser Ausstellung, wenngleich 101 Künstler:innen dargestellt werden, eine sinnhafte Komposition in den großzügigen und modern ausgebauten Räumen der ehemaligen Riegeler Brauerei. Während man an bunten Wandobjekten vorbeikommt, bäumt sich vor einem Koloman Wagners Skulptur „Jonglage“ auf, vor der sich die Besuchenden drängen, um Anfang und Ende des Kiefernholzes zu finden. Die Formen winden sich umeinander, wirken wie ein endloses Monument, und wenngleich das Holz hart ist, erscheint es in Wagners Werk so weich und zart, als sei es aus Papier gefertigt.

Yoshiyuki Miura: „Reis Bild“, 2024, Reiskörner, Glasscheiben © Yoshiyuki Miura

Dahinter verbirgt sich ein Raum mit Lichtinstallationen und dem „Reis Bild“ des japanischen Künstlers Yoshiyuki Miura, an dem man, neben all den farbmächtigen Werken, vielleicht vorbeigehen würde. Vielleicht, denn ein kurzer Blick verrät die Finesse des Werkes: Aus 10 000 einzelnen Reiskörnern hat Miura ein komplexes Werk erschaffen. Kreisförmig und auf mehreren Ebenen angeordnet, entsteht so eine mehrdimensionale Lichtinstallation, die wahre Sogkraft besitzt. Bedenkt man jedoch, wie viel Geduld und Feingespür hinter der Anordnung jedes einzelnen Reiskornes steckt, wirkt das Bild auf einmal wie der Ruhepol dieser Werkschau – eine Einladung zum Innehalten.

7. Internationaler andré-evard Preis. Kunsthalle Messmer, Großherzog-Leopold-Platz 1, Riegel am Kaiserstuhl. Bis 01.03.25

Bildquellen

  • Yoshiyuki Miura: „Reis Bild“, 2024, Reiskörner, Glasscheiben: © Yoshiyuki Miura
  • Scharein: „Raumdrehung“, 2024, Acryl auf Hartschaumplatte: © Scharein