Das Museum Haus Konstruktiv in Zürich widmet Dóra Maurer eine Retrospektive

Die Mathematik an sich sei für sie nicht interessant, sagt Dóra Maurer in einem Gespräch mit Sabine Schaschl. Nur, wenn sie Beziehung zwischen Objekten beschreibe. Für eine konkrete Künstlerin ist dies immer noch eine ungewöhnliche Aussage. Sieht man im Museum Haus Konstruktiv etwa ihren Film „Proportions“, in dem sie ein Stück Stoff in immer kleinere Einheiten faltet, zeigt sich diese Haltung darin, wie charmant ungenau und unordentlich der Packen Stoff am Ende aussieht. Unter dem Titel „Minimal Movements, Shifts, 1970-2020“ richtet das Zürcher Museum der 1937 in Budapest geborenen Künstlerin die erste Retrospektive in der Schweiz aus. Sie zeigt Druckgrafiken, Fotografien, Filme und Malerei. Die Ausstellung passt in das von Sabine Schaschl geleitete Haus, dessen Programm selbst nicht auf den Gesetzen der Mathematik gegründet ist.
Das halbe Jahrhundert, auf das die Schau zurückblickt, war ereignisreich, insbesondere wenn man im Ostblock lebte. Ein Jahr nachdem Dóra Maurer 1955 ihr Studium an der Ungarischen Akademie der Bildenden Künste in Budapest aufgenommen hatte, kam es zum Volksaufstand. 1967 lernt sie in Wien den Exil-Ungarn Tibor Gáyor kennen, sie heiraten, was Maurer ermöglicht zwischen der österreichischen und der ungarischen Hauptstadt zu pendeln. Sie bewegt sich in einer Künstlergruppe, die offener war als es die offizielle Kulturpolitik vorsah. Maurer ging in ihren frühen Arbeiten, auf eine für die konkrete Kunst ungewöhnliche Art, von körperlichen Erfahrungen aus. So misst sie für einen Film mit ihrem Körper eine Papierbahn aus. Die Idee dazu kam ihr durch die Markierungen in der Budapester U-Bahn. Wie sie das Gehen auf der Papierbahn umsetzt, hat etwas Spielerisches. Es ist eine dieser minimalen Bewegungen des Ausstellungstitels, die sich auch in anderen Arbeiten findet.
Oft haben diese sogar einen politischen Hintergrund. Insofern sie propagandistisch Instrumentalisiertes wie etwa der Marsch bei der 1. Mai-Feier in einen privaten Kontext überführt. So sieht man in der fünfteiligen Fotoserie „KVs 1st of May Parade on Artificial Ground“ aus dem Jahr 1971, wie Vera Komarik über eine Platte läuft, die mit zerknüllten Zeitungen präpariert ist. Was als Massenereignis inszeniert wird, ist hier ein fast intimes Ereignis – auf einer formalen Ebene wandelt sie die Druckgrafik, die durch ihre Reproduzierbarkeit charakterisiert ist, in einen einzelnen Druck um.
Oft beruhen Dóra Maurers Werke auf einem experimentalen Aufbau, der leicht verschoben wird. Für die „Schautafel 3“ hat sie aus Venedig mitgebrachten Sand zusammen mit Stroh auf eine Bildfläche fallen lassen und das Material dort belassen, in einem zweiten Schritt zog Dóra Maurer mit Fäden ein Raster ein, das eine Vergleichbarkeit von Kästchen zu Kästchen erlaubte. Die Freiheit Maurers im Umgang mit Regeln zeigt sich auch in ihren Malereien, die – auch hier weicht sie von der klassischen konkreten Kunst ab – einen räumlichen Eindruck simulieren. 1983 bemalt sie das Turmzimmer von Schloss Buchberg für „Space Painting Buchberg“ so, dass die Farbbahnen der Architektur folgen. Im oberen Ausstellungsraum des Museum Haus Konstruktiv sieht man Arbeiten, die diese Dynamik auf die Wand übertragen. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit Farbflächen und der Überlagerung von Schichten ist hier eine Malerei entstanden, die verstehen lässt, warum Maurer derart einflussreich für eine jüngere Generation von Kunstschaffenden geworden ist.

Dóra Maurer, Minimal Movements, Shifts, 1970-2020. Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich. Di, Do bis So 11 bis 17 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr. Bis 12. September 2021. Weitere Infos: www.hauskonstruktiv.ch

Bildquellen

  • Ausstellungsansicht Dóra Maurer im Museum Haus Konstruktiv, 2021: Foto: Stefan Altenburger