Das Kunstmuseum Basel zeigt „the incredible world of photography“ der Sammlung Herzog

Es fällt schwer, die Gipsfiguren, die der Lavaausstoß des Vesuvs von den Einwohnern des antiken Pompejis hinterließ oder den Kopf der Mumie von Seti I nicht als Symbol für die Fotografie selbst zu nehmen. Wir kennen diese durch Aufnahmen von Giorgio Sommer und Emile Charles Albert Brugsch aus den 1880er Jahren. Auf unterschiedlichste Weise sind die Toten von Pompeji und die ägyptischen Mumien körperlos. Die Lava und der mumifizierte Leib sind an die Stelle eines einst lebendigen Menschen getreten. Die beiden Fotos sind Teil der riesigen Sammlung von Ruth und Peter Herzog, die nun zu Gast im Kunstmuseum Basel ist.
Etwas Ähnliches vollzieht sich ja mit jedem historischen Porträt, auf das wir schauen. Wie anders ließe sich sonst der Schock erklären, den die Schriftstellerin Katja Petrowskaja in ihrem Beitrag für den lesenswerten Katalog beschrieben hat. Sie erzählt, wie sie begann sich für eine junge Basler Frau zu interessieren, deren Spuren sie in zwei privaten Fotoalben fand, die ein typisches bürgerliches Basler Leben dokumentierten. Da war sie als Mädchen, später als junge Frau und dann als Mutter zu sehen. Und dann ein Foto von ihr als Tote und der verwaisten Tochter. Wir scheinen zu glauben, dass unser Blick Tote lebendig machen kann sowie wir uns Landschaften als unberührt vorstellen können, von denen wir wissen, dass sie heute anders aussehen, während uns die Kriegsfotos als vergangene Schrecken erscheinen, obwohl sie in die Gegenwart wirken.
Sammlungen haben mit Ordnungen zu tun. Und da ist ein in mehrfacher Weise vielsagender Hinweis, dass man in der Ausstellung „The incredible world of photography“ auch auf eine Fotografie von Frank Buchser stößt. Buchser stellt 1853/54 eine Art Collage aus unzähligen Fotos von Freunden zusammen, denen es nicht möglich gewesen wäre, sich an einem Ort zu treffen. Das Foto schafft einen simultanen Raum, der sie versammelt. Eine Ausstellung im Kupferstichkabinett Basel hatte bereits 2009 das komplexe Verhältnis von Fotografie und Malerei in seinem Werk beleuchtet. So ist seine Malerei geprägt von den Inszenierungen, mit denen Fotografen das Leben festhielten. Doch Buchser besaß nicht nur viele Fotos, die ihm als Vorlagen für seine Bilder dienten, er griff auch auf deren Infrastruktur zurück und ließ etwa seine pittoresken englischen Ansichten direkt vor Ort durch Fotografen verkaufen. Und die Fotos von Frank Buchser waren auch die ersten, die 1896 Eingang in die Sammlung des Kunstmuseum Basels fanden. Dort verhielt man sich vorerst noch reserviert gegenüber dem neuen Medium, später wurden dann erste Ankäufe getätigt.
Und ein bisschen reflektiert die Sammlung von Ruth und Peter Herzog, die ihren Anfang auf einem Zürcher Flohmarkt nahm, auch den Ursprung der Basler Kunstsammlung, obwohl diese in die Zeit des Humanismus zurück reicht. Doch so wie die Herzogs nicht unterschieden zwischen Architekturfotografie, wissenschaftlicher Dokumentation und privaten Familienalben und so ein „riesiges, nie fertigzustellendes Lebensmosaik“ in 500.000 Fotos anhäuften, so unterschied auch Bonifacius Amerbach im 16. Jahrhundert nicht zwischen Holbein-Porträts, Münzen und Naturalia. All das repräsentierte in der Vielfalt der Wunderkammer die Welt und die sinnliche Freude, die wir durch sie empfinden. Etwas davon lässt sich erleben, vertiefen wir uns heute in die Fotos, die beginnend im 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre auch die Geschichte der Fotografie bebildern.
Doch natürlich kommt diese unglaubliche Welt der Fotografie nicht ganz ohne Ordnung aus. Da zeigt die wissenschaftliche Fotografie, auch Strategien auf durch Bilder Erkenntnisse zu untermauern und zu lenken und da ist auch vieles zu sehen, was einen geradezu überrumpelt. Etwa das Kriegsfotobuch eines deutschen Soldaten von der Ostfront, der das Foto einer abgemagerten Gefangenen mit „russisches Flintenweib“ kommentiert. Und natürlich gibt es im Kunstmuseum Basel die Gegenüberstellung von Fotografie und Malerei. Da rückt neben die Fotos von Pariser Mühlen ein Vincent van Gogh, ein Camille Pissarro neben Blumenstillleben. Sie kommen gut miteinander aus.

The incredible world of photography. Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 8, Basel. Di, Do-So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr. Bis 4. Oktober 2020.

Bildquellen

  • Anaglypgh des Mondes, Léon Gimpel, 1923, © as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved: Julian Salinas