Das Augustinermuseum zeigt „Verwandlung der Welt. Meisterblätter von Hendrick Goltzius“

Das Ungeheuer hat sich derart in sein Opfer verbissen, dass der Schädel des Drachens an die Stelle des Männerkopfs tritt. Der Mann, es ist einer der Gefährten des Cadmus, versucht das Tier mit der rechten Hand abzuwehren, die Linke liegt völlig verkrampft an seinem Rücken. Dass er unter einer Männerleiche liegt, fällt erst bei der weiteren Betrachtung auf. Denn da liegt noch der abgerissene Kopf eines weiteren Gefährten. Man sieht die Kehle, es scheint der Künstler hätte anatomische Studien betrieben. Zeitgenossen von Hendrick Goltzius hätten da sicherlich bereits den Kopf des Cadmus bemerkt, der ganz links fast im Wald verschwindet, während auf einer Lichtung rechts das Ende des Drachens erzählt wird. Er wird von Cadmus mit einem Speer getötet werden.
Der Kupferstich „Der Drachen verschlingt die Gefährten des Cadmus“ ist 1588 entstanden, im gleichen Jahr wie sein Vorbild: Cornelis Corneliz van Haarlem malte ebenfalls das Motiv aus den Ovidschen „Metamorphosen“. Während auf dem Bild die weißen Leiber nach vorne drängen und dem Auge in diesem Gewaltexzess zumindest ein bisschen Orientierung geben, überwältigt die Grafik von Goltzius geradezu. Warum Goltzius in der Geschichte des Manierismus eine derart wichtige Rolle einnimmt, stellt sich kaum mehr. Wie auf der Rampenkante sind Monster und Menschen miteinander verknäult, die Leiber, die durch merkwürdige Muskelpacken charakterisiert sind, wirken unnatürlich verdreht und perspektivisch falsch. Und selbst der Schwanz des Untiers formt noch eine stehende Acht.
Dass diese Szene derart gewalttätig ist, hat mit der Ovidschen Vorlage zu tun, die bereits ziemlich bildmächtig ist. Eigentlich hätte es eine Folge von 300 Blättern werden sollen, fertiggestellt wurden 52. Die Universität Göttingen, mit der das Augustinermuseum für die Ausstellung „Verwandlung der Welt. Meisterblätter von Hendrik Goltzius“ kooperiert, besitzt die gesamte Serie, in Freiburg sind nun exemplarisch zehn Blätter zu sehen. Die dargestellte Gewalt hat aber auch mit den Zeitumständen des späten 16. Jahrhunderts zu tun. Die Befreiung der Niederlande von den Spaniern war ein schmutziger Kampf, es war ein Stellvertreterkrieg der Religionen. Goltzius jedenfalls greift bei seinen Arbeiten, die für ein humanistisch gebildetes Publikum entstanden, auf die Antike oder zumindest die italienische Kunst zurück, doch er sucht immer auch den Bezug zur Zeit oder weist durch die ästhetischen Lösungen, die er findet, über sie hinaus. In einer Arbeit, die die Beschneidung Christi zum Thema hat, findet sich sein Selbstporträt. Goltzius steht am Rande der Gruppe und blickt dem Betrachter selbstbewusst in die Augen. Den Bart trägt er nach zeitgenössischer Mode, auch dadurch ist er von den Figuren des Geschehens enthoben. Hendrik Goltzius inszeniert in jeder seiner Arbeiten sein Können. So übernimmt er die Manier anderer Künstler – bei der Beschneidungsszene ist es Dürer – oder er treibt die Konventionen der Darstellungen über die bis dahin bekannten Grenzen hinaus. Er experimentiert beim Holzschnitt mit farbigem Papier. Später wird er sich der Malerei zuwenden und die Grafik, mit der er bekannt und auch wohlhabend wurde, aufgeben. Obgleich er auch hier fortschrittliche Wege einschlug, so versuchte er den gesamten Produktionsprozess zu kontrollieren, in dem er einen eigenen Verlag für seine Kupferstiche gründete und sich zumindest für einen gewissen Zeitrahmen von Rudolf II. das Copyright an seinen eigenen Arbeiten sichert.
All das spricht für ein Selbstverständnis, das auf dem Wissen um das eigene Können beruht, und das er selbstbewusst vermarktet. Dass dies nicht zu allen Zeiten gefeiert wurde, wusste er. Vier Tondi sind den Himmelsstürmern Tantalus, Ikarus, Phaeton und Ixion gewidmet, die sich durch ihr Handeln gegen die Götter vergingen. Ihre kraftvollen nackten Körper sind im Moment des Fallens dargestellt. Obgleich auch diese Kupferstiche von moralisierenden Zeilen begleitet werden, lässt dies nicht übersehen, wie sehr die Helden jeweils im Zentrum stehen und wie sehr sie durch den perfekten Kreis von der Menschheit entrückt sind.

Verwandlung der Welt. Meisterblätter von Hendrick Goltzius. Augustinermuseum, Augustinerplatz, Freiburg. Di-So 10-17 Uhr. Voraussichtlich bis 31.03.2021. Aktuelle Infos unter www.freiburg.de

Bildquellen

  • Hendrick Goltzius. Die Anbetung der Hirten, ca. 1599. Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen.: Katharina Anna Haase 2020