Christof Loy inszeniert einen eindrücklichen Bartók-Abend am Theater Basel

„Wo ist die Bühne? Außen oder innen“, fragt der Schauspieler und Tänzer Nicolas Franciscus ganz zu Beginn im ungarischen Prolog zu Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ am Theater Basel. Regisseur Christof Loy beantwortet diese grundsätzliche Theaterfrage bei diesem eindrucksvollen, manchmal schwer erträglichen, dann wieder Hoffnung gebenden Abend eindeutig. Loy setzt auf Bilder, die im Inneren des Betrachters entstehen. Deshalb meidet er bei dieser Koproduktion mit dem Teatro Real in Madrid ein allzu konkretes Setting, deshalb stehen die Figuren im Mittelpunkt, deshalb definiert er Emotionen nicht immer unmissverständlich, sondern zeichnet Übergänge: vom Begehren zum Bedrängen, von Leidenschaft zu Gewalt, von Macht zu Missbrauch. Im Mittelpunkt: die Beziehung von Mann und Frau. Christof Loy zeichnet alle Variationen der Liebe und betont gerade im ersten Teil – Bartóks Tanzpantomine „Der wunderbare Mandarin“ – deren dunkle Seite.
Loy hat der einstündigen Oper diese wilde, expressionistische Ballettmusik vorangestellt und szenisch miteinander verknüpft. Ein junges Mädchen wird von einer Männerbande gezwungen, Freier anzulocken, um sie auszurauben. Der letzte der Männer – der wunderbare Mandarin – stirbt in den Armen des Mädchens. Carla Pérez Mora tanzt dieses Mädchen im roten Kleid zwischen Telefonzelle, Müllkippe und einer auf Baumstämmen stehenden Brettersiedlung mit Grazie und Anmut (Kostüme: Barbara Drosihn, Bühne: Márton Ágh). Nicky van Cleef ist der Chef der Strolche. Bei seinem ersten Aufeinandertreffen mit dem Mädchen ist noch Zärtlichkeit im Spiel, aber der Mann dominiert die Frau in jeder Bewegung. Mário Branco, der erste Freier, nimmt sich die junge Frau mit Gewalt, ehe er von der Bande (Joni Österlund, Jarowslaw Kruczek) weggerissen wird. Der Mandarin (Gorka Culebras) dagegen begegnet dem Mädchen mit Zärtlichkeit. Er trägt es auf Händen, hebt es empor, bis die Bande eingreift und sich immer neue Paare bilden, auch zwischen den Männern. Christof Loy hat jede Bewegung genau auf die Musik choreographiert, auf ihre Zuspitzungen und Ruhephasen. Erstmals steht Chefdirigent Ivor Bolton bei einer Opernpremiere am Pult des Sinfonieorchesters Basel. Die raffinierten Klangmischungen entfalten Atmosphäre. In den Streichern vertraut der Dirigent einem dunkel timbrierten, stark vibrierten Klang, der Bartóks Musik sinnlich auflädt. Bolton entfesselt mit seinem flexiblen Orchester aber auch die Rhythmik und lässt die Dissonanzen schneiden. Zur aufgepeitschten Musik wird der Mandarin gequält, stranguliert und beinahe ertränkt. Die Gewalt eskaliert – die radikale Körperlichkeit des Tanzensembles erschüttert. Deshalb gibt Loy der Liebe noch eine Chance. Und schenkt der bezaubernden Carla Pérez Mora und dem mit beängstigender Intensität agierenden Gorka Culebras unter dem Titel „Auferstehung“ zum Andante tranquillo aus Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ noch ein zärtliches Pas de deux in Zeitlupe – christliche Bildmotivik inklusive.
Nach der Pause sind die Baumstämme verschwunden und die fensterlose Holzbehausung steht als Herzog Blaubarts Burg auf dem Bühnenboden. Die gesamte Oper lässt Loy aber auf dem Vorplatz spielen. Folterkammer, Schatztruhe, Garten, Tränensee – alles entsteht nur vor dem inneren Auge. Die Abgründe, in die Judith hinter den sieben Türen blickt, findet sie in der Seele ihres Gegenübers. Dieser Blaubart ist kein frauenmordendes Monster. Mit seinem geschmeidigen, kantablen Bass zeigt ihn Christof Fischesser als gebrochenen, traumatisierten Mann, dessen Vergangenheit schwer auf ihm lastet. Judith möchte die Dunkelheit mit Liebe vertreiben – Evelyn Herlitzius stattet diese Frau mit sonorer Tiefe und enormer Kantabilität aus. König Blaubart und Judith sind in Basel ein Liebespaar auf Augenhöhe. Man nähert sich an und entfremdet sich wieder. Man kommt ins Gespräch und endet doch wieder im beklemmenden Schweigen. Jedes Tor öffnet auch einen neuen Klang, den das Sinfonieorchester Basel plastisch werden lässt, wenn die Streicher mit schnellen Tonwechseln Alarm schlagen, das Cellosolo Trost spendet („Gibt mir acht auf uns, Judith“) oder die Blechbläser beim fünften Tor Glanz verbreiten. Ivor Bolton hält die Balance, mischt gekonnt die Instrumentalfarben und entwickelt mit dem Orchester einen Erzählstrom, von dem man sich mitreißen lässt bis zum beeindruckenden Schlussbild, wenn die Burg langsam in die Höhe steigt und Blaubart in der Dunkelheit verschwindet.

Bildquellen

  • Christof Loy inszeniert einen eindrücklichen Bartók-Abend am Theater Basel/Chefdirigent Ivor Bolton steht zum ersten Mal bei einer Opernpremiere am Pult des Sinfonieorchesters Basel: © Matthias Baus