Bunte Bilder der Liebe

Das Theater Freiburg adaptiert Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ für das Kleine Haus

Stephanie Schönfeld und Orhan Müstak Foto: M. Korbel

Dieser Werther ist anders. Keine gelben Kniehosen, keine Stulpenstiefel, stattdessen schwarze Lederhose und Westernboots. Die Mode des Zwanglosen sieht heute anders aus – das Jahr 1771 schreibt Walter Meierjohanns‘ Inszenierung von Goethes berühmtem Briefroman, die nun am Theater Freiburg Premiere hatte, dennoch. Und noch immer reicht ein Individuum, um die Welt zu finden. Im Kleinen Haus des Theater Freiburg ist diese unübersehbar Projektionsfläche, weiße Streifen Folie laufen hinten von der Bühne nach vorne. Dort, wo die drei Bahnen aufeinander liegen, bilden sich in der Senkrechten Gassen zum Auf- und Abtritt (Bühne: Wolf Gutjahr). Sie schirmen die ländliche Idylle von der Stadt ab und sind die weiße Wand, auf die die Liebe, so Werther, die buntesten Bilder scheinen lässt. Wer ther (Orha n Müsta k) kommt von der Straßenseite mit einem solchen Knall auf die Bühne, wie er sich später vom Leben verabschieden wird. Nicht grundlos, verhandelt Goethes Sturm-und-Drang-Text doch auch die Stellung des Individuums zur Gesellschaft.

Als Werther, das erste Mal Lotte (Stephanie Schönfeld) sieht, findet er sie liebevoll um ihre Geschwister besorgt vor, als sie das erste Mal miteinander flirten, geschieht es im Rahmen eines Balles. Alberts Name fällt Werther als Warnung zu, die Literatur ist den beiden eingeschworene Gemeinschaft. Später dann droht Werthers Leidenschaft die Gesellschaft, vor allem aber die Beziehung von Lotte und Albert zu sprengen. Lottes Eingeständnis, sie sei Albert „so gut als“ verlobt, bietet Walter Meierjohanns Inszenierung viel Spielraum. Lottes weißes Empirekleid aus Musselin (Kostüme: Katharina Weissenborn) ist da kaum weniger flirrend und lässt die Figur ahnen. Einmal vereinen sich die beiden Lichtspots, in denen sie stehen, zu einem. Orhan Müstaks Werther tanzt, jauchzt, erfüllt die Ankündigung, ganz in der Gegenwart zu leben, durch sein Verliebtsein. Die Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrscht, ist Stephanie Schönfelds Lotte eine Spielwiese, über die sie unbeschwert läuft, leichtsinnig wie ein Kind und mutwillig wie eine junge Frau. Allzu unschuldig muss man sich das nicht vorstellen. Heike Müller-Merten und Walter Meierjohann haben eine Bühnenfassung aus dem Briefroman geformt, die Unmittelbarkeit mit der Distanz des Narrativen verbindet. Das, was Werther an seinen Freund schreibt, wandert wie selbstverständlich in Lottes und Alberts Mund. Zerstört Albert die Idylle der beiden, tritt Konrad Singer säuerlich mit den Worten „30.7. Albert ist angekommen“ auf. Walter Meierjohann nimmt dem „Werther“ das Unbedingt-Pathetische, erfreulicherweise verliert er dadurch nichts Anrührendes. Einmal simuliert dieses Dreiecksverhältnis einen Flug über den Wolken, die Arme wie im freien Fall auf dem Boden ausgebreitet. Wer hier wohl heimlich einen Fallschirm trägt? Dann später fällt ein Satz auf Kurdisch, Orhan Müstak spricht von Freiheit und Massengräbern, worauf Konrad Singer ihm entgegnet, das Beispiel, das er gebe, scheint hierher gar nicht zu passen. Wie wahr, warum kann Müstak nicht einfach und selbstverständlich die Rolle des Werthers spielen, ohne gleich Repräsentant seines Herkunftslandes zu sein? Davon abgesehen ist Walter Meierjohanns Inszenierung durchaus stimmig bis ins Detail. Was die drei Schauspieler hier zeigen, ist ein Kammerabend über die Liebe und belässt dem Herzen des Menschen seine Ungeheuerlichkeit. Weitere Vorstellungen: 2./7./ 16./24. Juni, Theater Freiburg. Annette Hoffmann

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