Theater

Aufstieg und Fall eines Dilettanten: Die Freiburger Immoralisten wagen sich an Shakespeares finstere Tragödie „Macbeth“

So kann das Schicksal spielen. Schicksal? Oder eher Einflüsterung? Self fulfilling prophecy? Ein Mann trifft an einem Aufzug auf drei mysteriöse Krankenschwestern mit pechschwarzen Perücken und blutigem Besteck. Sie sagen ihm eine große Karriere voraus. König soll er werden.

Macbeth, den die Freiburger Immoralisten in einen schmalen Anzug mit roter Krawatte und riesiger Nerdbrille gesteckt haben, mag an solch glänzende Zukunft zunächst nicht glauben. Und wie James Foggin mit flackerndem Blick ungelenk in einem spießigen Ambiente mit Aquarium und Sofa herumstakst, mögen das auch die Zuschauenden kaum für möglich halten. Und doch: Wie alle wissen, die Shakespeare finstere Tragödie kennen, werden am Ende eine Menge Leichen seinen Weg säumen. Was seine Macht nicht retten kann: Denn da ist immer jemand, der nicht aus dem Weg geräumt werden kann. Der Wunsch nach totaler Säuberung – das zeigt die Geschichte – ist ein illusorischer.

Manuel Kreitmeier hat den Aufstieg und Fall eines „Lokalpolitikers aus Inverness“ (Programmflyer) exemplarisch in ein „Hotel Europa“, „unserer aller Wohnort“, verlegt: Zwischen den einzelnen Stockwerken verkehrt – bing – ein fiktiver Lift, mit dem am Ende die ambitionierte Lady Macbeth (souverän: Chris Meiser) per Video in die Tiefe stürzt. Die Karriere ihres Mannes, eines im Grunde seiner Seele ängstlichen und paranoiden Dilettanten, ist für Kreitmeier exemplarisch. In Videos lässt er in Kurzsequenzen lebende Machthaber aus den USA, China und Nordkorea auftreten. König Duncan, der im Hause Macbeth mit zwei riesigen Messern ermordet wird, ist bei Florian Wetter ein bizarrer russischer Zar, Thomas Kupczyks Banquo, Macbeths Konkurrent um die Krone, schwitzt sich in spießiger Rentnermontur durch die Aufführung.

Hier passt nichts zueinander – und genau das ist in dieser wilden Inszenierung auch intendiert. Kreitmeier hat, unterstützt durch einen von Florian Wetter abgemischten Soundtrack zwischen Verdis „Dies Ira“ und Nicoles Eurovisionssong „Ein bisschen Frieden“, furchtlos einen Thriller auf die schmale Bühne der Immoralisten gesetzt, auf der immerhin neun Protagonisten (in zum Teil wechselnden Rollen) agieren. Bei der Textvorlage kennt der Regisseur allerdings keine Kompromisse: Zugrunde liegt eine Übersetzung des großen Sprachmagiers Karl Kraus, der zwar kein Englisch konnte, aber seine Fassung aus vorliegenden Übersetzungen ins Deutsche kompiliert hat. Und so folgt das Publikum dem irrlichternden Tyrannen Macbeth, der sich zunehmend in einen beängstigenden Zustand zwischen Größen- und Verfolgungswahn hineinsteigert – das eine bedingt das andere – in vollendeten Jamben. Das wie immer hochengagierte Ensemble meistert die sprachliche Herausforderung souverän, allen voran James Foggin, dessen leichter englischer Akzent sich hervorragend in das Setting fügt. Sein Macbeth ist keine dämonische, sondern ein höchst jämmerliche Figur. Schlecht, wenn solche Emporkömmlinge, die keineswegs zur Politik geboren sind, an die Hebel der Macht gelangen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind durchaus beabsichtigt.

Doch bei allem Winken mit dem Zaunpfahl bleibt Manuel Kreitmeiers Shakespeare-Annäherung Vollbluttheater: Großes Kino auf kleiner Bühne. Wer wagt, gewinnt.

Weitere Infos: www.immoralisten.de

Bildquellen

  • Die Freiburger Immoralisten wagen sich an Shakespeares finstere Tragödie „Macbeth“: Foto: M. Kreitmeier