„Kann es etwas Cooleres geben?“

Im Gespräch: Ian Paice, Gründungsmitglied von Deep Purple

Deep Purple

Kaum zu glauben, aber wahr: Deep Purple wird 45. Ian Paice, letztes verbliebenes Gründungsmitglied der Band, feierte am 29. Juni seinen 65sten. Grund genug für ein neues Studioalbum. Das überraschend vielseitige „Now What?!“ ist das Zusammentreffen von einer legendären Rockband mit einem der einflussreichsten Rockproduzenten aller Zeiten: Bob Ezrin, der schon für Alice Cooper, Pink Floyd und Kiss arbeitete. Olaf Neumann quetschte Ian Paice aus. Er gilt als einer der besten Rockschlagzeuger der Welt. Am 13. August werden Deep Purple live auf der Foire aux Vins in Colmar zu erleben sein.

Kultur Joker: „Now What?!“ ist Ihr erstes Studioalbum in acht Jahren. Woran merken Sie, dass es wieder Zeit wird, ins Studio zu gehen.
Ian Paice: Noch vor zwei Jahren hätte ich diese Frage mit einem Achselzucken beantwortet. Wenn man monatelang auf Tournee ist, will man zuhause keine Musik mehr machen, sondern nur noch seine Ruhe haben. Aber Ende 2011 kribbelte es uns wieder in den Fingern und wir spürten, dass wir mental bereit waren. Also haben wir das Touren unterbrochen und uns in Klausur begeben. Gerade als wir mit den ersten Proben begonnen hatten, erhielten wir eine Nachricht von einem fantastischen Produzenten, Bob Ezrin. Er wollte gern mal mit uns arbeiten. Wir haben uns dann in Kanada getroffen, um unsere Ideen zu besprechen. Wir stellten uns ein Studioalbum vor, dass unbedingt auch unsere improvisatorische Seite reflektieren sollte. In den 1970ern hat man beim Plattenmachen nicht mit einkalkuliert, ob die Songs mal im Radio oder im Fernsehen laufen würden. Es ging einfach nur um eine in sich stimmige Songkollektion.

Kultur Joker: Mit Roger Glover haben Sie selbst einen erfahrenen Produzenten in der Band. Warum kam er nicht infrage?
Paice: Roger Glover ist ein super Produzent, ja. Aber wenn du selbst eine Platte aufnimmst, musst du dich einfach um zu viele Einzelheiten kümmern, als dass du noch den Blick von außen hättest. Ein Produzent sollte möglichst von außen kommen, denn im Studio gibt es immer wieder Situationen, mit denen nicht alle glücklich sind. Wenn zum Beispiel in einem Song die Gitarre wichtiger ist als die Orgel. Natürlich hätten wir auch einen wie Mutt Langer nehmen können, der aus der kleinen englischen Band Def Leppard internationale Superstars gemacht hat. Aber Mutt ist im Studio ein Tyrann. Bei uns würde das in Faustkämpfen enden.
Kultur Joker: Auf „Now What?!“ klingt Deep Purple überraschend vielseitig. Wie kam es zu dieser Öffnung?
Paice: Nun, im Lauf der Jahre hat es von Deep Purple immer wieder auch ungewöhnliche Stücke gegeben, die man nicht von uns erwartet hätte. Das neue Album präsentiert sämtliche Facetten dieser Band. Jeder Song kann für sich stehen, aber das Album fällt trotz der stilistischen Vielfalt nicht auseinander. Ich empfehle, es unbedingt als Ganzes zu goutieren. Wie stark ein Song wirklich ist, findet man aber erst heraus, indem man ihn immer wieder live aufführt. Unsere Songs besitzen die Fähigkeit, sich in die verschiedensten Richtungen zu entwickeln. Ein Song ist wie ein Baby. Er braucht Zeit, um erwachsen zu werden.
Kultur Joker: Sie gelten als einer der besten Rockschlagzeuger. Ist ein Album für Sie eine willkommene Gelegenheit, neue Rhythmen auszuprobieren oder spielen Sie stets songdienlich?
Paice: Manchmal liefert ein Rhythmus die Idee zu einem neuen Song. Der Beat von „Bodyline“ zum Beispiel hat Steve sofort entflammt. Dann stieß Roger dazu und wir fingen an zu jammen. Das lief so gut, dass daraus diese Nummer entstanden ist. Das Schlagzeug ist für einen Song genauso wichtig wie die Gitarre, deshalb muss ein Drummer musikalisch überzeugen. Er hat intuitiv zu begreifen, was ein Song braucht, ob der Beat diesen vorantreiben oder bremsen soll. Die wirklich großen Leute sind zuerst Musiker und dann erst Schlagzeuger.
Kultur Joker: Was haben Sie bei diesem Album dazugelernt?
Paice: Dass mir die Arbeit im Studio wieder wirklich Freude bereitet. Dies war nämlich seit 20 Jahren nicht mehr der Fall. Wissen Sie, Musik ist ein sehr artifizielles Medium. Diese Kunstform wurde von Menschen für Menschen gemacht. Aber im Studio spielt man nicht für ein Publikum, sondern für Maschinen. Es ist ein irres Gefühl, wenn alles zu deinen Gunsten läuft. Aber ich habe auch schon das andere Extrem erlebt, denn der Druck ist im Studio viel größer.
Kultur Joker: Die offen ausgetragenen Spannungen zwischen Jon Lord und Ritchie Blackmore haben die Kreativität der Band einst ungemein befeuert. Woher kriegen Sie heute den notwendigen Nervenkitzel?
Paice: Heute haben wir unser profundes musikalisches Wissen. Bei jeder Platte, die wir mit Deep Purple machen, verstehe ich ein bisschen besser, was ein Song braucht und was nicht. Die Schlagzeugparts auf dieser Platte sind zum Beispiel bewusst einfach gehalten. Je mehr Noten ich im Studio spielte, desto schlechter war das für den jeweiligen Song. Bei dieser Arbeit ließen wir unsere Egos vor der Studiotür, uns ging es ausschließlich um den Song. Aber auch die einfachen Sachen muss man korrekt spielen.
Kultur Joker: Während der Aufnahmesession in Nashville starb Ihr alter Freund und Ex-Mitstreiter Jon Lord daheim in England. Ist sein Geist bei den aktuellen Deep Purple noch zu spüren?
Paice: Auf dem Album haben wir ein paar Ideen realisiert, die noch aus der Zeit mit Jon stammen. Der Zusammenhang ist eher locker, aber Jons Geist ist eigentlich immer präsent, weil er diese Band mitgegründet und über Jahrzehnte mitgeprägt hat.
Kultur Joker: Deep Purple wird heute in die Schublade „Classic Rock“ gesteckt. Empfinden Sie das als Kompliment?
Paice: „Metal Band“ finde ich jedenfalls nicht besser, das sind wir ja nur bedingt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir dieses Genre zusammen mit Black Sabbath und anderen erfunden haben. Aber dieses Etikett wurde uns aufgedrückt. Eigentlich finde ich „Classic Rock“ oder „Hardrock“ passender. Aber man soll uns ruhig nennen wie man will. Ich selbst höre mittlerweile kaum noch Rockmusik, sondern vor allem modernen Country, Jazz und Klassik.
Kultur Joker: Bei Deep Purple findet man Elemente von Klassik, Rock, Jazz, Soul, Blues und Folk. Inwieweit hat Punk Sie damals eigentlich inspiriert?
Paice: Wir haben damals auf Punk reagiert wie einst die Jazzer auf den Rock. Für uns war Punk bloß Krach, die Musiker konnten ja nicht mal richtig spielen. Kurzum: Wir mochten es nicht. Bei mir hat sich daran bis heute nichts geändert. Aber ich kann nachvollziehen, weshalb Punk damals passierte. In den 1970ern war der Rock’n’Roll sehr protzig und gekünstelt geworden, er drohte seine Wurzeln zu verlieren. Das Publikum und die Musiker entfernten sich immer mehr voneinander. Punk war ein Statement zu dieser Entwicklung. Aber er hatte aus meiner Sicht keinen Bestand.
Kultur Joker: Wollten Sie als junger Mann gegen Ihre Eltern rebellieren, indem Sie sich der Rockmusik zuwandten?
Paice: Wissen Sie, die Generation meiner Eltern hasste die Rockmusik doch nur, weil sie sie nicht verstand. Es war mein Vater, der mich zur Musik gebracht hat, das Schlagzeug fand ich von Anfang an faszinierend. Ich wurde nie zu einer Karriere gedrängt, aber Vater war glücklich, als es funktionierte. Er war ein professioneller Pianist bereits vor dem Zweiten Weltkrieg. Er hatte sein eigenes Trio, mit dem er an Wochenenden und an Feiertagen mit Walzern und Quickstepps zum Tanz aufspielte.
Kultur Joker: Sie sind das letzte verbliebene Gründungsmitglied. Wie halten sich Deep Purple nach 45 Jahren noch frisch?
Paice: Als ich mit 15 das Schlagzeug für mich entdeckte, stellte ich alsbald fast, dass ich ganz gut spielen konnte. Es machte mir einfach Spaß. Wenn ich heute eine Bühne betrete, habe ich dieses Gefühl immer noch. Aber es gibt noch einen Bonus: Die Musik macht nicht nur mich selbst glücklich, sondern auch viele andere, die mir zuhören. Menschen mögen die Art, wie ich Schlagzeug spiele. Sie sehen gerne dabei zu, wenn ich mich jeden Abend wieder in den 15-jährigen Ian zurückverwandle. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, ich habe viel Geld verdient, und für mein Alter spiele ich noch ziemlich gut. Kann es etwas Cooleres geben?
Kultur Joker: Die Erwartungen der Fans an eine Band wie Deep Purple sind enorm. Kostet das viel Energie?
Paice: Bei einem Konzert würde ich nie weniger als 100 Prozent geben. Ich bin sehr dankbar für das Talent, was die Natur mir geschenkt hat. Ich behandle es mit großem Respekt. Genauso behandle ich auch das Publikum.
Kultur Joker: Dieses Jahr war Deep Purple nominiert für die Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame. Enttäuscht, dass Sie es nicht geschafft haben?
Paice: Oh, mein Leben ist jetzt total zerstört! Wissen Sie, es ist mir so was von egal. Wenn sie uns vor 25 Jahren aufgenommen hätten, ja, dann wäre das was Besonderes gewesen. Sollten sie uns eines Tages doch noch erwählen, dann akzeptiere ich das mit Würde. Wenn nicht, wird sich die Welt trotzdem weiterdrehen. Wichtig ist doch nicht, was ein Komitee irgendwo in Cleveland über Deep Purple denkt, sondern wie abertausende von Fans auf der ganzen Welt über uns denken.
Kultur Joker: Wie haben Sie es geschafft, 45 Jahre im Rockgeschäft unbeschadet zu überstehen?
Paice: Die meisten von uns sind an Orten aufgewachsen, wo es keine Drogen gab. Beziehungsweise in einer Zeit, als Drogen noch nicht so verbreitet waren. Ich bin ein Junge vom Land, unsere Vorstellungen von ungezogen waren, sich in einen Pub zu schleichen und ein Pint Bier zu stürzen. Und das zu einer Zeit, in der andere in meinem Alter bereits komische Tabletten oder Chemikalien schluckten. Wissen Sie, ich habe überhaupt nichts gegen Leute, die keinen Alkohol trinken, aber wenn sich fünf Freunde gemeinsam einen genehmigen, kann es ein lustiger Abend werden. Ich habe es immer sehr genossen, Musiker zu sein.
Kultur Joker: Ist Deep Purple die richtige Band, um mit ihr in Würde alt zu werden?
Paice: Ich glaube ja. Zwei Dinge sollte man dabei nicht außer Acht lassen: Wenn das Publikum dich nicht mehr sehen oder hören will. Das würde ich aber sehr schnell merken. Zweitens würde ich sofort aufhören, wenn ich spüren würde, dass ich es körperlich nicht mehr schaffe, den Standard zu halten. Deep Purple darf nicht zu einem Schatten seiner selbst werden. Im Moment ist es für mich aber die beste Band der Welt, um meine Musik rund um den Globus zu präsentieren.
Kultur Joker: Wie gefällt Ihnen eigentlich die Musik, die Ihr ehemaliger Mitstreiter Ritchie Blackmore heute macht?
Paice: Das ist nichts für mich. Aber das kann ja auch an mir liegen und nicht an Ritchie. Für mich ist und bleibt er einer der großartigsten Rockgitarristen. Ich wünschte mir, dass er die Welt wieder mit einem Rockalbum überraschen würde. Dann wäre ich glücklich.

Das Studioalbum „Now What?!” (Ear Music/Edel Music) ist erhältlich in den Formaten Standard-CD, limitierte CD+DVD und Doppel-Vinyl.

Live erleben kann man Deep Purple am 13. August auf der Foire aux Vins in Colmar. Karten/Infos: www.foire-colmar.com. Aufgepasst: Wir verlosen für das Konzert mit Deep Purple 2 x 2 Karten. Schicken Sie uns eine Mail an redaktion@kulturjoker.de mit dem Stichwort „Smoke On The Water“ und geben Sie bitte Ihre Telefonnummer zur Benachrichtigung bekannt. Einsendeschluss: 20. Juli 2013. Viel Glück!

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