„Face to Face II“ – Von Angesicht zu Angesicht

Fotografien von Vera Isler im Museum Tinguely Basel

Die Porträtierten blicken dem Betrachter entgegen, sie verbreiten eine aufmerksame Atmosphäre, dichte Stille, als sei ein Gespräch in der Schwebe. Die Fotografin Vera Isler hat die Fähigkeit, sich auf die fotografisch Beobachteten so einzulassen, dass sie keine demonstrative Pose einnehmen, sondern gelöst und einvernehmlich inne halten. Isler wartet mit der Momentaufnahme bis sich etwas zeigt. Im Dialog mit dem jeweiligen Gegenüber versteht sie den Anderen als getrenntes Wesen, unverfügbar und transzendent. Die Erfahrung seiner Einzigartigkeit ist über Gesicht und Gestalt möglich, im ruhigen Abwarten.
Die Ausstellung „Face to Face II“ besteht aus 52 großformatigen Schwarz/Weiß-Fotografien, Nahsichten von Künstlerinnen und Künstlern, darunter Stephan Balkenhol, Tony Cragg, Franz Gertsch, Gotthard Graubner, Gary Hill, Rebecca Horn, Joseph Kosuth, Niki de St. Phalle und Agnes Martin. Kein Attribut charakterisiert sie per se als Künstler; sie werden als alltägliche Individuen dokumentiert. Hier wird keine Berühmtheit plakativ inszeniert, der sich ein Informationsgehalt aufdrängen lässt. Konzentriert wird vielmehr ihrer Mimik und Physis Respekt entgegen gebracht. Vera Isler hat die Porträtierten im Rahmen von Ausstellungen angesprochen oder in ihren Ateliers besucht, nicht ins Fotostudio gebeten.
Isler präsentiert ihre Fotografien konzeptuell, mehrere Fotoporträts, im jeweils gleichen Bildformat, folgen aufeinander. Ihr Bildausschnitt ist das so genannte „Kniestück“ (120 x 165), also fast lebensgroß; wenn sie an der Wand hängen, 20-30 Zentimeter über dem Boden,  kann der vorbeigehende Betrachter den Abgebildeten quasi „begegnen“. Eine erste Serie dieser Art war im Jahr 1991/92 entstanden, bereits seit den 1980er Jahren porträtierte Isler unterschiedlichste Personen, allein die Kollektion ihrer Künstlerfotografien ist bis ins Jahr 2005 auf über hundertfünfzig Bilder angewachsen.

Vera Leiner-Isler wurde 1931 in Berlin geboren und war 1936 von ihren jüdischen Eltern zur Sicherheit in die Schweiz geschickt worden; dort blieb sie. Der Großteil ihrer Familie wurde 1942 in Belzec ermordet.
Vera Isler kam 1980, im Zuge eines New York-Aufenthalts, zur Fotografie und machte zunächst mit Aufnahmen der US-amerikanischen Schwulen- und Lesbenszene auf sich aufmerksam, sodann mit Bildern von autonomen Jugendszenen in der Schweiz sowie durch Porträts von über 80jährigen Menschen. Isler hat auch in anderen Medien und Techniken gearbeitet, Bilder, Skulpturen und Videos geschaffen. Viele Preise und Auszeichnungen begleiten ihre Laufbahn. Vor einigen Jahren verfasste sie die Autobiographie „Auch ich“. Zur derzeitigen Schau ist ein vortrefflicher Katalog erschienen.
Vera Isler. Face to Face II. Museum Tinguely. Paul Sacher-Anlage, Basel.www.tinguely.ch und  www.veraislerleiner.com. Bis 6. Mai 2012
Cornelia Frenkel