Zielsicher ins Schwarze

Raffinierte Adaption: Die Uraufführung „1914“ der Freiburger Immoralisten

Als sich US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un vor wenigen Wochen verbal befeuerten und so die Angst vor einem Flächenbrand schürten, befanden sich die Freiburger Immoralisten längst in den Proben zu ihrem neuen Stück „1914“. Wie so oft hatten sie die dräuende Gewitterstimmung in der Welt längst aufgegriffen und inhaltlich zum Thema ihrer nächsten Inszenierung gemacht.

Schauspieler Jochen Kruß in "1914" im Freiburger Theater der immoralisten. © Manuel Kreitmeier
Schauspieler Jochen Kruß in „1914“ im Freiburger Theater der immoralisten. © Manuel Kreitmeier

Die Mächtigen der Welt haben schon mehrfach versagt. Diese Adaption gerade in den Vorabend und Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verlegen, ist von den Immoralisten klug gewählt, aber auch eine inszenatorische Hochleistung und Gratwanderung zugleich.

Manchmal geraten Ereignisse auf eine schiefe Bahn, deren Kurs sich wie auf einer Kegelbahn nicht mehr korrigieren lässt. Unaufhaltsam rollen sie unter dem ohnmächtigen Blick der Welt auf die Katastrophe zu. Niemand kennt die Losung, um all dem ein Ende zu bereiten.

So war es, als der Thronfolger Franz Ferdinand ausgerechnet am 28. Juni 1914 – dem „Veitstag“, einem großen serbischen Gedenktag an die vor 525 Jahren erlittene und für das Vielvölkerproblem im Balkan verantwortlich gemachte Niederlage – in Sarajevo seinen Besuch abstattete. Diese undiplomatische Unachtsamkeit genügte bereits, um die Kugel ins Rollen zu bringen… Das Thronfolgerpaar fällt einem Attentat zum Opfer. Der Reigen unter den Nationen, die sich zunächst gegenseitige Unterstützung und dann Misstrauen bekunden, beginnt und endet bekanntlich in einem großen Knall.

Die psychologische Ausweglosigkeit dieser Situation, gespickt mit einer Unmenge an historischen Fakten (um die ein Stück zum Ersten Weltkrieg nun mal nicht herumkommt) so auf die Bühne zu bringen, dass das Publikum dem Stück von Anfang bis Ende gebannt zu folgen gewillt ist, kommt der Quadratur des Kreises gleich (Regie und Bühne: Manuel Kreitmeier): Eingefrorene Szenen ermöglichen immer wieder Perspektivwechsel und treiben die Geschichtserzählung voran; ergänzt durch psychologisch raffiniert eingesetzte, elektronisch-gesampelte Musikakzente (Florian Wetter: Komposition, Synthesizer; Hanna Schwegler: Cello, Elektronik) und Farb-Licht-Effekte, die für den entsprechenden Thrill sorgen und die Dramatik des Kommenden in Analogie zur heutigen Zeit erschreckend klar offenbaren.

Das ist – die Verfasserin kommt nicht umhin, dies immer wieder zu betonen – schlichtweg der Immoralisten große Stärke: Mit einfachen Mitteln (als Szene nur ein Flur im Hotel „Europa“), wenigen Darstellern (sechs Leute spielen 24 Rollen: Markus Schlüter, Natalja Althauser, Uli Herbertz, Jochen Kruß, Max Färber und Florian Wetter) und akribischer Recherchearbeit gelingt es ihnen immer wieder aufs Neue, scheinbar ausweglose und verwickelte Situationen mit großem Feingefühl auf ihren Ausgangspunkt zurückzusteuern; von wo aus alles seinen Anfang nahm – und vielleicht auch einen ganz anderen Weg hätte nehmen können.

Und hierbei zählt sicherlich der subtile Humor, den die Immoralisten in genau der richtigen Dosierung einzusetzen verstehen, zu ihren besten Geheimwaffen. Ja, komische Aspekte gibt es auch hier, man glaubt es kaum. Ohne auch nur einen Moment der Lächerlichkeit aufkommen zu lassen – humoristisch wie inhaltlich zielsicher ins Schwarze: Das trauen sich nur die Immoralisten!

Friederike Zimmermann

Bis 9. Dezember immer donnerstags, freitags, samstags jew. 20 Uhr im Theater der Immoralisten in Freiburg.
www.immoralisten.de