Wo die süßen Früchte wachsen

Am Theater Freiburg wagen sich Jarg Pataki und die methusalems an Andres Veiels „Das Himbeerreich“

Ensemble die methusalems Foto: Maurice Korbel

Wenn Andres Veiel ein Stück entwickelt, geht er gründlich vor. Sieben Monate recherchierte er am Ort des Geschehens für sein Drama „Der Kick“, das 2005 am Theater Basel uraufgeführt wurde. Jetzt für „Das Himbeerreich“ hat er 20 Banker interviewt, etwa 1400 Seiten umfasste die Transkription.
Veiel, der mit seinem Film „Black Box BRD“ bekannt geworden ist, wollte eine Innensicht der Finanzkrise zeigen und die O-Töne nicht durch Kommentare verfremden. Dieses Interviewmaterial bildet auch die Basis von Jark Patakis Inszenierung mit den methusalems am Theater Freiburg.

Ein Stück über die Finanzkrise mit älteren Darstellern, die bei aller Erfahrung doch Laienschauspieler sind, ja geht das denn? Es geht und tatsächlich trägt das Alter der methusalems dazu bei, den Geschehnissen am Kapitalmarkt noch eine andere Bedeutung zu geben. Sie haben einmal dazugehört, jetzt sind sie ausrangiert worden, meist nicht unbedingt wegen ihrer moralischen Skrupel.
Nun sind sie Gast im 34. Stockwerk der Bank, ohne an Entscheidungen und Strategien mehr zu partizipieren. Welch ein Ort des Glücks und des Friedens – aber natürlich schaut die Frustration über diese neue Bedeutungslosigkeit allen aus den Krägen heraus. An den wohlmeinenden Spruch von der Krise, die ihren Sinn hat, glaubt hier niemand.
Als die 13 Schauspieler (Mechthild Blum, Gisela Braun, Hans-Joachim Burgert, Heide Cerny, Ingrid Frey, Wim Geerlings, Renate Gimmi, Harald Jeske, Marlene Krämer, Anke Lehmann, Jochen Loh, Gerburg Rüsing, Markus Simon) im Kleinen Haus des Theater Freiburg die Showtreppe hinabsteigen, darf man sich an die 50er Jahre erinnern. Damals, als die BRD noch jung war und schon im Begriff stand, wieder eine aufstrebende Wirtschaftsmacht zu werden, trug man Petticoats, Nerzstola zu grünen Cocktailkleidern und sang, dass es wieder „besser, besser“ werden würde. Tatsächlich war es um Deutschland ja vor nicht allzu langer Zeit wirklich schlimm gestanden.
Bei der Uraufführung, die Andres Veiel selbst inszenierte, bildete er in diesem Jahr in Stuttgart und Berlin eine sehr cleane Finanzwelt ab. Mit älteren Darstellern kann das nicht funktionieren, daher spiegelt sich in den 75 Minuten, die dieses „Himbeerreich“ andauert, auch die deutsche Wirtschaftsgeschichte wider und ein Kapitalismus, der in die Jahre gekommen ist. Jarg Pataki kombiniert Elemente des Revuetheaters, etwa Lieder wie „Die süßesten Früchte“ mit Veiels Dokumentartheater. Und weil die süßen Früchte nun einmal allen schmecken und Gier ein wenig stärker als Raffsucht und Habgier ist, man also, wenn man über die Banker spricht, immer auch sich selbst meinen sollte, sitzt das Publikum in drei Blöcken um die Spielfläche, in die die Showtreppe mündet. Die Darsteller wenden sich immer wieder an das Publikum und sprechen den Text oft chorisch. Das goldene Kalb jedoch, um das alle tanzen, ist der Bulle des Finanzmarktes und hat sich längst emanzipiert. Es spielt Akkordeon (Caroline Martin) und wird am Ende die müde gewordenen Seniorinnen und Senioren des Finanzmarktes eher rüde an ihre Hinfälligkeit erinnern. Doch davor läuft der Kapitalismus noch einmal auf Hochtouren, das Ensemble der methusalems tanzt und hyperventiliert sich an den Abgrund.
Dass das Finanzgebaren einerseits, spricht man von Derivaten und Ähnlichem, seltsam abstrakt bleibt, andererseits in seiner Skrupellosigkeit derart vorhersehbar ist, kann auch Jarg Patakis Inszenierung von „Das Himbeerreich“ nicht vermeiden, auch an Volker Löschs Inszenierung „Angst“ am Theater Basel blieb dies haften. Doch, was die 13 Darsteller und die Musikerin hier auf die Bühne bringen, ist mehr als nur respektabel und eine schöne Aufforderung, die methusalems weiterhin nicht zu unterfordern.
Weitere Vorstellungen: 4. Januar, 6. Februar, jew. 20 Uhr, Theater Freiburg.
Annette Hoffmann

Ein Gedanke zu „Wo die süßen Früchte wachsen

  • 8. Januar 2014 um 19:23 Uhr
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    (Genesis 2,15-17) Und Gott der HERR nahm den Menschen (freier Unternehmer) und setzte ihn in den Garten Eden (freie Marktwirtschaft), dass er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott der HERR (künstlicher Archetyp Jahwe = Investor) gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen (Gewinn bringende Unternehmungen) im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (Geldverleih) sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes (in religiöser Verblendung) sterben (Rückfall in die Barbarei).

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    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

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