Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung

Erinnerung an den „Summer of Love“ von 1967

In diesem Jahr kommt man in San Francisco an den Hippies nicht vorbei, ausgiebig wurde der Summer of Love nachgefeiert. „Flower-Power-Touren“ führen durch den Stadtteil, der nach der Kreuzung von Haight Street und Ashbury Street benannt wurde. Haight-Ashbury gilt als Geburtsort der Hippie-Bewegung. Heute teilweise bewohnt von der Oberschicht der Hightechbranche, die viele der schönen Häuser im viktorianischen Stil renoviert hat – Silicon Valley ist nicht weit.

Vor 50 Jahren war das Haight-Ashbury ein Szene- und Künstlerviertel, das Scharen von Jugendlichen aus dem ganzen Land anzog. Es war die Verlockung, Drogen auszuprobieren, kostenlose Konzerte im Golden Gate Park von Bands wie die Grateful Dead und Jefferson Airplane aufzusuchen und die freie Liebe zu entdecken.

Natürlich ist heute viel Nostalgie im Spiel, aber es gibt auch eine Reihe von Ausstellungen, die nicht nur die Hochzeit der Blumenkinder dokumentieren, sondern historisch auch etwas tiefer blicken lassen. Vertreter der voran gegangenen Beatgeneration nahmen die neue Jugendbewegung zwar mit Interesse wahr, fanden sie jedoch weniger „hip“ als „hippy“, also eher harmlos. So entstand der Name „Hippie“ aus einer Verkleinerungsform.

Doch die Hippies zeigten sich nicht nur als fantasievoll verträumt, theatralisch oder blumig romantisch in ihrem Gebaren, sondern auch radikal und anarchisch in der Umsetzung ihrer Vorstellungen von einer besseren Welt. Sie verweigerten die durch Konventionen aufgestellten politischen, geistigen oder gesetzlichen Grenzen. Kein „Time is money“ mehr! Dem Materialismus des American Way of Life wollten sie Spiritualität entgegensetzen, dem Stillstand der Gesellschaft Vitalität. Nicht zu vergessen der Protest gegen den Vietnam-Krieg unter der Devise „Make love not war“.

Am 13. Mai 1967 rief in San Francisco ein Komitee von führenden Hippies zum Summer of Love auf: „Es hängt alles von euch ab… Allen Söhnen und Töchtern der Menschheit und allem Streben nach des Lebens höchstem Sinn: möge in dieser Stunde des größten Bedarfs an Kommunikation der Vater aller Menschen und Dinge uns, seine ergebenen Diener, zum tiefen gegenseitigen Verständnis führen.“ Bei allen hehren Vorsätzen, die Welt zu retten: ohne Drogen hätte es keinen Summer of Love gegeben. Allen voran LSD, ein Rauschmittel mit immenser halluzinogener Wirkung, das zur Bewusstseinserweiterung, aber auch zur Psychose führen kann. Cannabis war an der Tagesordnung, doch mit dem LSD-Trip erhielt der Hippie die höheren Weihen. Der Psychologie-Dozent Timothy Leary gehörte zu den Gurus der Hippie-Bewegung. Er predigte den freien Zugang zu Meskalin und LSD, das in Kalifornien seit 1966 illegal war.

Die identitätsstiftende Kraft der Pop-Musik

Auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung fand im Juni 1967 in Monterey das erste internationale Pop-Festival der Geschichte statt. Monterey ist ein Küstenstädtchen südlich von San Francisco, wo John Steinbecks beschwingter und unvergessener Roman „Die Straße der Ölsardinen“ angesiedelt ist. Einige Musiker des Festivals, die bis dahin kaum bekannt waren, z. B. Jimi Hendrix und Janis Joplin, wurden danach zu Topstars und Leitfiguren. Für manche Heranwachsenden sind sie es bis heute geblieben.

Mitten in jenem legendären Summer of Love von 1967 war auch das „St. Pepper“-Album der Beatles erschienen, mit vier Grammys ausgezeichnet und 2003 von der US-Musikzeitschrift „Rolling Stone“ an die Spitze der 500 wichtigsten Alben aller Zeiten gewählt. „St. Pepper“ markiert sozusagen das Epizentrum einer revolutionären musikalischen Dekade, die um 1965 mit einer Reihe von britischen und US-amerikanischen Bands eingeläutet und durch die Beatles und Rolling Stones angeführt wurde; wobei Bob Dylan neue Maßstäbe für das Songwriting setzte.

Die Zeit war anscheinend reif dafür, dass die Jungen die Alten in ihrer autoritären Erstarrung von den Sockeln stoßen sollten. Es wurden schon viele Versuche unternommen, den damaligen Aufruhr und den Ausbruch an Kreativität, der sich nicht nur im Musikalischen, sondern insgesamt in einer vehement aufkommenden jugendlichen Gegenkultur zeigte, zu erklären. Manche Esoteriker und Anhänger des New Age sahen darin kosmische Ursachen.

Im ersten Song des 1968 uraufgeführten Musicals „Hair“ wurde „The Age of Aquarius“, das Zeitalter des Wassermanns herauf beschworen. Im Refrain heißt es: „When the moon is in the 7th house, and Jupiter aligns with Mars, then peace will guide the planets… (Wenn der Mond im siebten Haus steht und Jupiter sich an Mars ausrichtet, dann wird Friede die Planeten leiten…).” „Peace, love and understanding“: das hatte sich die Flower-Power-Bewegung auf ihre bunten Fahnen geschrieben.

Wie immer man das alles sehen mag: es war eine Zeitenwende, die sich vollzog und viel an Veränderungen nach sich zog. 1967 war das Jahr, in dem sich unsere Welt für immer veränderte. Die identitätsstiftende Kraft der Pop-Musik hatte daran einen entscheidenden Anteil. Das Kraftvolle, Innovative und Komplexe dieser Musik reichte bis in die 1970er Jahre und wurde danach in einem solchen Ausmaß nie mehr erreicht. Nachklänge dieser Ära der Pop-Musik sind bis heute vernehmbar, aber es sind eben nur Nachklänge.

Vibrations of San Francisco

San Francisco zog die Jugend an durch mildes Klima und Flair. Und durch billige Mieten in verfallenden, viktorianischen Häusern, die schon von den „misfits“ der Beat-Generation der Fünfzigerjahre bewohnt worden waren. Mit einem harten Kern von ca. 1000 jungen, energiegeladenen Leuten entstand hier die vor Phantasie überschäumende Subkultur der Hippies, die bald weit über Haight-Ashbury hinaus ihre Kreise zog.

„Die Hippies sind Reisende, Entdecker“, schrieb der Soziologe Stewart Hall, “sie sind Abenteurer des Unbewussten, der unterirdischen Keller im Menschlichen, der innerpsychischen Realität, des revolutionären Moments…“ „Today ist he first day of the rest of your life“, lautete die Parole. Vieles wurde in Frage gestellt oder neu definiert; Erziehung, Familienleben, das Verhältnis der Geschlechter und Generationen, der verschiedenen Rassen zueinander.

Ein neuer Gemeinschaftsgeist sollte zu einer alternativen Gesellschaftsform führen, Anspruch auf Privateigentum in den Gruppen galt nicht mehr. Ein Buch aus dieser Zeit trug den Titel: „Wir sind die Leute, vor denen Euch Eure Eltern immer gewarnt haben“. Der Durchschnittsbürger fühlte sich herausgefordert, gab sich kämpferisch, oder er betrachtete das Treiben der Hippies für sich als Wochenendunterhaltung.

Bereits im Januar 1967 hatte sich der Summer of Love angekündigt. Auf dem „Polo Field“ im Golden Gate Park fanden sich an die 30.000 Rebellen und Zivilisationsmüde verschiedenen Alters zum ersten „Human Be-In“ zusammen. Darunter Beatniks der Fünfzigerjahre, jugendliche Hippies und maoistische Studenten. Die besten Rock-Bands von San Francisco spielten umsonst, ein Studentenführer aus Berkley rief auf zum Widerstand gegen den Vietnam-Krieg und der LSD-Guru Timothy Leary, den ein Bundesrichter zum „gefährlichsten Mann der Welt“ erklärt hatte, propagierte seine These: „Turn on, tune in, drop out! – törn dich an, stimm dich ein, steig aus!“ Dazu wurde eine Menge LSD kostenlos an die verschenkt, die einen Trip wagen wollten. Alle diversen Gruppierungen, die damals der Psychedelischen Rebellion angehörten, verschmolzen auf diesem Be-In zu einer Einheit. „Hippies Run Wild – Hippies rasten aus“ lautete tags darauf eine Schlagzeile der San Francisco Chronicle.

Durch einen Zustrom zig-tausender junger Leute ins Haight-Ashbury geriet allmählich alles aus den Fugen. Die Möchtegern-Hippies streunten angetörnt, in wilden Klamotten oder halbnackt durch die Straßen. Darunter mischten sich viele Zeitungsjournalisten, Radio- und Fernsehreporter. Anwohner begehrten immer mehr auf, machten ihrem Unmut Luft.

Razzia auf dem Hippie Hill, San Francisco, 1967. © Ken Warwick
Razzia auf dem Hippie Hill, San Francisco, 1967. © Ken Warwick

Ein Auslöser dafür, dass Haight-Ashbury im Hochsommer 1967 überrannt wurde, war Scott McKenzies „San Francisco“-Song, der den ersten Platz der amerikanischen und britischen Charts erobert hatte. Der Song wurde als Aufruf verstanden: „If you´re going to San Francisco be sure to wear some flowers in your hair…” Die echten Hippies, die sich wegen der Poesie, den Künsten und sozialer Utopien hier angesiedelt hatten, standen den Ereignissen in verzweifelter Hilflosigkeit gegenüber.

Nur Drogendealer und andere Geschäftemacher profitierten von dem Auflauf der vielen jungen Leuten aus dem ganzen Land, die einer Illusion von Freiheit und Abenteuer hinterherliefen. Kriminalität nahm zu. In Umlauf kamen harte, schnell süchtig machende Drogen wie Speed, Kokain, Heroin und Pervitin, der gefährlichste Stoff jener Jahre. Es genügte nicht mehr alleine LSD, das seit den Anfängen der Hippie-Zeit um 1965 dazu hatte dienen sollen, alle inneren und äußeren Panzer zu sprengen, um Spiritualität zu erlangen.

Der kurze Sommer der Liebe

Wie euphorisch hatte alles begonnen. Gipfel der Freiheit war der Hippie Hill im Golden Gate Park gewesen. Eine sanft geneigte Wiese, auf der musiziert und getanzt wurde, Joints die Runde machten. Viele sollen sich hier im Schutz der Sträucher, unter mächtigen Zypressen geliebt haben.

Die vor kurzem erfundene Antibabypille war zu einem Freifahrschein für Sex und ungezügelte Leidenschaft geworden. Das sah sich die Obrigkeit nicht lange mit an. Der Hippie Hill wurde zu einem Brennpunkt täglicher Razzien und Verhaftungen. Drogenbesitz war die häufigste Ursache, durchgebrannte Teenager und Leute, die sich nicht ausweisen konnten, wurden aufgegriffen. So währte der Summer of Love nicht lange, der kurzen Blüte folgte ein jäher Absturz. Schatten zogen über das Haight-Ashbury.

Bald wurden im Viertel die sanitären Verhältnisse zu einem Problem. Viele Leute arbeiteten nicht. Mietete jemand eine Wohnung, zogen 20 oder 30 Leute mit ein. Müll wurde einfach aus den Fenstern geworfen, häufte sich. Der Freizügigkeit folgte die totale Verwahrlosung. Die Jugendlichen, die geflüchtet waren vor der Normalität, einem erdrückenden gesellschaftlichen Stillstand, der Enge cleaner Suburbs und strenger Elternhäuser, waren in eine Sackgasse geraten.

Ein heilsamer Schock war es für George Harrison von den Beatles, als er im August 1967 im Haight-Ashbury vorbeischaute und das Elend der Verkifften in den Straßen sah. Für den Rest seines Lebens rührte er danach keine Drogen mehr an. Dem Elend Abhilfe zu schaffen versuchten die Diggers, eine systemkritische, sozial engagierte Gruppierung mit anarchistischen Zügen und protestantischen Wurzeln. Jeden Nachmittag parkten sie ihren alten Truck in der Nähe des Golden Gate Parks, um mittellose Blumenkinder mit warmem Essen aus Aluminiumkübeln zu versorgen.

Die Diggers sammelten Wohlstandsreste aus Abfalltonnen, abgelaufene, von Supermärkten gespendete Lebensmittel und machten Einkäufe mit dem Geld, das sie Marihuana-Dealern abknöpften, um Bedürftigen zu helfen. Im Haight-Ashbury versuchten die Hippies, die etwas auf sich hielten, zu retten, was noch zu retten war. Hatten sie es doch geschafft, neben dem herrschenden Wirtschaftssystem eine eigene, funktionierende Infrastruktur zu schaffen.

Ein engagierter Arzt hatte eine kostenfreie Klinik gegründet, in Free Stores konnte man sich umsonst mit Kleidung versorgen. Ihr Versuchsfeld für eine neue Gesellschaft stand auf dem Spiel. Indem die Hippie-Hochburg durch Außeneinwirkung immer kaputter und zugleich kommerzieller wurde, kam es in der Allgemeinheit und selbst in der liberalen Jugendszene zu einem starken Imageverlust der Hippies.

Dagegen wurden in den Medien die Kleidung und die Musik der Hippies zum gefeierten Modetrend. Anlass für die Begründer der Hippie-Bewegung, am 6. Oktober 1967 in San Francisco den Hippie symbolisch zu Grabe zu tragen. Der Sarg war angefüllt mit zwei Kilo Marihuana, Postern, Buttons und falschen Bärten – was so alles in „Hippie-Shops“ verkauft wurde.

Doch mit diesem Abgesang konnte noch keiner ahnen, wie tief sich die Spuren der Hippie-Bewegung ins kollektive Bewusstsein gegraben hatten, wie nachhaltig sich ihre Ideen, wie entwicklungsfähig sich viele ihrer soziokulturellen und alternativen Ansätze erweisen würden.

Peter Frömmig

Bildquellen

  • kultur_joker_kultour_summer_of_love_peter_froemmig-725×600: „Let´s go to San Francisco...“ © Peter Frömmig, 1971