Oper „Wahnfried“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Eine musikalische Geschichtsstunde

Am Ende brennt das Bühnenbild zu den „Meistersingern“, durch die Tür kommt Adolf Hitler. Mit drastischen Szenen arbeitet die Oper „Wahnfried“, die am Badischen Staatstheater Karlsruhe uraufgeführt wurde, die weniger schönen politischen Seiten des Wagner-Kultes auf.

Szenenfoto aus "Wahnfried": Christina Niessen als Cosima Wagner
Christina Niessen als Cosima Wagner in „Wahnfried“ © Falk von Traubenberg

Der israelische Komponist Avner Dorman komponierte die Musik, die Dialoge der historischen Charaktere schrieben Lutz Hübner und Sarah Nemitz. Die unschöne Verquickung von Richard Wagners Kunst mit genau der perfiden Rassentheorie, die später von den Nationalsozialisten zu einer Staatsreligion gemacht wurde, zeigt „Wahnfried“ an eben jenem Menschen, der diese Theorie erfand. Im Mittelpunkt der Handlung, vom ersten bis zum letzten Bild, steht Houston Stewart Chamberlain. Nie gehört? Einfach eine Vorstellung von „Wahnfried“ besuchen. Hier zeichnet der Sänger Matthias Wohlbrecht mit grandioser Intensität das Porträt eines Menschen, der bedeutend sein will, und darüber alles Menschliche bewusst beiseite schiebt.

Anhand von Chamberlains Verbindung zum Wagner-Clan erlebt man, was sich hinter der hehren Welt auf dem grünen Hügel in Bayreuth abspielte. Bühnenbildner Tilo Steffens hat das sehr geschickt umgesetzt. Man sieht das Bühnenbild von hinten, blickt zusammen mit den Protagonisten von der Bühne in den Zuschauerraum des Bayreuther Festspielhauses, wo der Opernchor in eleganten Roben die Fangemeinde der Wagnerianer darstellt.

Chamberlain, der gescheiterte Insektenforscher, ist von dieser Bayreuther Kunst-Welt fasziniert und lässt sich bereitwillig von Cosima instrumentalisieren. Christina Niessen singt nicht nur prachtvoll, sie zeichnet Wagners Witwe als Frau von gnadenloser Strenge und eisernem Willen. Sie opfert sogar die eigene Tochter Isolde, als diese für sich die Leitung der Bayreuther Festspiele fordert. Dafür hat Cosima aber den einzigen Sohn vorgesehen, nur dass Siegfried schwul ist und lieber seine Ruhe hätte. Andrew Watts singt mit schlankem Countertenor von Siegfrieds Liebesleid, doch heimliche Stelldichein homosexueller Natur werden von Chamberlain vereitelt.

Dieser ist da bereits zu Cosimas Handlanger mutiert. Für diese Rolle hat er seine Frau Anna abgeschoben. Auch hierfür fand der Regisseur eine gallige Symbolik: wer stört, wird in eine Zwangsjacke verschnürt und abtransportiert. Ob es Isolde Wagner ist oder Anna Chamberlain. Als Rassentheoretiker, der die vermeintliche Überlegenheit der arischen Rasse propagiert, hat Chamberlain Erfolg. Soweit ist die Handlung durchaus historisch. Den Kontrapunkt dazu setzt eine frei erfundene Szene, in der Chamberlain vom Geist des verstorbenen Wagner-Dirigenten Hermann Levi zur Rede gestellt und widerlegt wird.

Levi ist nicht der einzige Untote, der auf der Bühne herum spukt. Wagner stirbt schon recht früh in diesem Stück, doch scheint der Meister keine Ruhe zu finden. Als dämonischer Horror-Clown (Kostüme: Julia Müer) erinnert er in einem Duett mit dem russischen Anarchisten Bakunin daran, dass Wagner ursprünglich ein Barrikadenkämpfer für die Demokratie war. Eine grotesk überdrehte Szene mit einem überdimensionalen Plastikdrachen (genau, Fafner aus dem „Ring“). Ausgerechnet in Adolf Hitler meint die Wagner-Sippe um Cosima ihren Champion gefunden zu haben. Siegfrieds Frau Winifred nimmt Hitler sofort unter ihre Fittiche. Dass das Bühnenbild zu den „Meistersingern“ da schon brennt, fällt den Zuschauern auf, die Protagonisten sehen in ihrer Verblendung in Hitler nur den vermeintlichen „Erlöser“.

„Wahnfried“ ist ein bitterböses Stück, das ausgesprochen unterhaltsam, also quasi getarnt, daher kommt. In flüssigem Parlando fetzen sich die Angehörigen, dass man an Nike Wagners Spruch von der „Atriden-Sippe“ erinnert wird. Die wenigen emotionalen Momente des Stückes gehören den Verlierern wie Anna Chamberlain, deren Liebe zu dem psychisch eindeutig Gestörten ihr nur Unglück bringt.
Avner Dorman erliegt nicht der Versuchung, alles mit musikalischen Zitaten aus Wagner-Opern zu garnieren. Er arbeitet sehr geschickt mit den Möglichkeiten von Gesang und Orchester. Um die gesungenen Dialoge gut hörbar zu machen, hält Dorman den Orchesterpart meist schlank. Das Ergebnis lässt sich mühelos hören und verstehen, ohne je trivial zu werden. „Wahnfried“ ist eine musikalische Geschichtsstunde, die spannend und kurzweilig viel erklärt, was jenseits von Bayreuth auch heute noch aktuell ist.

Weitere Vorstellungen: 19.3., 19 Uhr, 12./28.4., 20 Uhr
www.staatstheater.karlsruhe.de

Nike Luber