Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Basel

Herzens(ver)brecher mit Frauenverschleiß

Ein riesiges Fahndungsplakat ist bereits bei der Ouvertüre zu sehen: Don Giovanni wanted. Der Blick des Gesuchten: kalt und leer. Das ist keine Sympathiefigur, sondern ein Schwerverbrecher, der in der Inszenierung von Richard Jones am Theater Basel im Mittelpunkt steht.

Szenenbild aus "Don Giovanni" im Theater Basl, es zeigt den Schauspieler Riccardo Fassi mit einem Telefonbuch vor einem Buffet
Riccardo Fassi als Don Giovanni im Theater Basel (© Priska Ketterer)

Ein Stundenhotel irgendwo im Nirgendwo. Hier wartet Don Giovanni mit seinem Kumpel Leporello. Eine Frau passiert den Weg, dreht sich um und verschwindet mit dem kühlen Herzensbrecher in der Tür. Wenige Sekunden später kommen die beiden wieder heraus und die nächste geht mit ihm ins  Hotelzimmer (Bühne: Paul Steinberg). Ein Blick genügt – und sie ist im verfallen. Der Reigen setzt sich fort, bis die Ouvertüre zu Ende ist und Donna Anna als letzte der Frauen übrig bleibt. Die Oper kann beginnen.

Szenisch ist dieser „Don Giovanni“ von Beginn an fokussiert. Der Regisseur greift ein, führt den Zuschauer durchs Geschehen und definiert genau, was er haben möchte. Im Orchestergraben fehlt diese Bestimmtheit. Schon der Ouvertüre zieht der neue Basler Musikdirektor Erik Nielsen den Zahn. Mozarts Dramatik, die die Höllenfahrt Don Giovannis vorwegnimmt, wird handzahm gemacht. Die Crescendi geraten zu lauen Lüftchen. Nielsen wählt meist bedächtige Tempi. Den Schwung bremst er immer wieder aus, so dass die Musik auf der Stelle tritt.

Auch handwerklich geht manches schief, wie die Koordination der Tänze im ersten Finale. Ihre Stärken hat die Interpretation in den leisen Momenten, wenn das Sinfonieorchester Basel die lyrischen Arien mit dezenten Holzbläsersoli verzaubert oder die Streicher einen transparenten Klangteppich weben. Hier führen die Freiheiten, die Nielsen dem Orchester gewährt, zu Glücksmomenten.

Riccardo Fassi füllt als Don Giovanni die dominante Rolle, die die Regie ihm verleiht, auch musikalisch aus. Sein tragfähiger Bassbariton hat Wucht und Verführungspotential. Dieser glatzköpfige Don Giovanni im dunklen Satinanzug (Kostüme: Nicky Gillibrand) ist omnipräsent. Lächeln tut er nicht. Wie überhaupt diesem Dramma giocoso am Theater Basel die Leichtigkeit abhanden kommt. Aber es gibt auch Überraschungsmomente in der streng geformten Inszenierung. Der Rollentausch zwischen Don Giovanni und Leporello (auf Augenhöhe: Biagio Pizzuti) wird dadurch erreicht, dass der eine dem anderen das Toupet klaut.

In der Personenführung hat der Abend seine Stärken. Besonders die Zerrüttungen zwischen Zerlina (glockenhell: Maren Favela) und Masetto (durchaus differenziert: Nicholas Crawley) sind fein beobachtet. Anna Rajahs Donna Elvira fehlt nur in der Tiefe ein wenig Präsenz. Der Komtur (mit begrenztem Volumen: Michael Hauenstein) kommt in blutiger Unterhose zu Don Giovannis Dinner.  Herausragend agieren Kiandra Howarth als höhensichere, dramatisch auflodernde Donna Anna und Simon Bode als berührender Ottavio, der seine beiden Arien zu zarten, schwebenden Liebeserklärungen formt. Für das Ende hat sich der Regisseur einen besonderen Coup überlegt.

Don Giovanni überlebt, weil er Leporello mit dem Komtur in der Unterbühne versinken lässt. Nicht ist also gesühnt beim Schlusschor. Der Herzens(ver)brecher ist immer noch auf freiem Fuß. Am Ende steht Don Giovanni wieder mit einem Leporello-Double aus dem Chor vor dem Stundenhotel und lässt sich von der Kammerzofe abschleppen. Das düstere Spiel kann von vorne beginnen.

Vorstellungen: 5./10./12./ 16./25. Februar
Karten: www.theater-basel.ch oder T.: 0041 61 295 11 33

Georg Rudiger