„Mainstream ist der Anfang von Erstarrung“

Im Gespräch: Klaus Simon, Gründer und Leiter der Young Opera Company Freiburg

Klaus SimonJäger und Sammler, sei er – sagt Klaus Simon über sich selbst. Dabei stehen aber weder Rehe noch Pilze im Mittelpunkt seiner Leidenschaft. Es geht hier vielmehr um Lieder, Orchestermusik und Opern, die von dem rührigen Musiker ausgegraben, gehegt und gepflegt werden.  Der 46-jährige Überlinger prägt schon über zwei Jahrzehnte als Dirigent, Pianist und Arrangeur das Freiburger Musikleben. Die von ihm gegründete Young Opera Company Freiburg feiert nun ihr 20-jähriges Jubiläum mit einer auswändigen Produktion von Detlev Glanerts Oper „Die drei Rätsel“. Georg Rudiger sprach mit ihm über seine Jungferntaufe und die Vor- und Nachteile eines freien Opernensembles.

Kultur Joker: Im Oktober feiert die Young Opera Company ihr 20-jähriges Bestehen. Die erste Opernproduktion des freien Musiktheaterensembles war aber schon am 9. Juli 1993 in der Reithalle Ebnet mit Gustav Holsts „Savitri“. Das sind doch 21 Jahre.
Klaus Simon: Wir wollten eigentlich 2003 unser zehnjähriges Jubiläum mit John Adams‘ Songplay „I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw The Sky“ feiern. Dann mussten wir aber die Produktion verschieben – und haben es ein Jahr später nachgeholt. Wir haben jetzt also ein Jubiläum, das in gewisser Weise ein Jahr hinterhertickt.

Kultur Joker: Warum haben Sie die Young Opera Company gegründet?
Klaus Simon: Das war aus einer Rotweinlaune heraus – gemeinsam mit meinem Schulmusik-Studienkollegen Rolf Herter. Der Stimulus war, die Oper „Savitri“ zu machen. Ich hatte damals eine Gustav-Holst-Entdeckungsphase. Wir haben das Stück mit Kolleginnen und Kollegen von der Freiburger Musikhochschule auf die Bühne gebracht. Die eigentliche Oper dauert ja nur eine halbe Stunde; für die Inszenierung konnten wir Benito Gutmacher gewinnen. „Savitri“ haben wir dann kombiniert mit Frauenchören von Gustav Holst. Diese Produktion war sozusagen meine Jungferntaufe. In jenem Semester habe ich mehr gelernt als in meinem ganzen Studium.
Kultur Joker: Wenn Sie zwanzig Jahre zurückblicken – was hat sich verändert bei der Young Opera Company? Und was ist gleich geblieben?
Klaus Simon: Gleich geblieben ist sicherlich ein gewisser Geist, nach Stücken zu suchen, die abseits des Opernrepertoires liegen. Selbst „Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm, den wir im Jahr 2000 gemacht haben, gehört nicht zum Kernrepertoire eines Opernhauses. „Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten 1995 war vielleicht noch das Stück, das am ehesten in einem normalen Opernhaus zu hören ist. Es macht nach wie vor großen Spaß, Stücke auszugraben, hinter denen man steht, die man aber kaum kennt. Das Risiko ist dabei aber immer, dass es das Publikum nicht oder zu wenig annimmt. Böse gesagt: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Das ist aber nicht nur in der Oper so – in Kammermusikkonzerten und Liederabenden ist dieses Verhalten noch viel extremer. Geändert hat sich sicherlich der Mitarbeiterstab, wobei Cornelius Bauer, der seit 2004 als Dramaturg bei uns arbeitet, bereits seit 1996 als Geiger bei der Holst-Sinfonietta dabei war. Geblieben ist auch die Entscheidung, für jedes Stück ein spezielles Team zusammenzustellen. Es gibt bei jeder Produktion ein neues Casting, wobei ich durchaus auch auf bewährte Kräfte zurückgreife. Nur wen ich drei Jahre nicht mehr gehört habe, muss nochmals vorsingen.
Eine wichtige Änderung ist, dass wir seit letztem Jahr einen Manager haben, der in Berlin lebt und von dort aus für uns Koproduktionen und Gastspiele in Gang bringen soll. Wenn wir in der Zukunft überregional noch mehr Präsenz bekommen, dann wäre das ein ganz wichtiger Schritt für uns. In diesem Zusammenhang möchten wir auch unseren Namen ändern, weil Young Opera Company für einen Veranstalter, der uns nicht kennt, doch zu sehr nach Studentenensemble klingt. In Zukunft heißen wir deshalb Opera Factory Freiburg – oder kurz OFF. Die Off-Oper Deutschlands.
Kultur Joker: Die ersten drei Projekte der YOC waren Opernwerke englischer Komponisten – Gustav Holst, Benjamin Britten und William Walton. Hatten Sie diesen Schwerpunkt bewusst gewählt?
Klaus Simon: Es war nicht geplant, es ist eher so passiert. Ich habe schon immer eine starke Affinität zur englischen Musik verspürt. Nach drei Produktionen wurde mir aber klar, dass wir nun etwas anderes machen müssen. „Die Welt auf dem Mond“ von Joseph Haydn/Günter Steinke war dann das erste nichtenglische Stück.
Kultur Joker: Was fasziniert Sie an englischer Musik?
Klaus Simon: Die meisten kennen diese Musik gar nicht. Wer kennt schon Symphonien von Vaughan Williams oder Walton und von Holst etwas anderes außer „Die Planeten“? Das sind alles Meisterwerke, die in Deutschland allerdings gering geschätzt werden.
Kultur Joker: Auch die Holst-Sinfonietta trägt ja den Namen eines englischen Komponisten. Ist das freie Ensemble das Opernorchester der Young Opera Company?
Klaus Simon: Ja. Aber es gibt auch viele eigene Projekte wie Kammerkonzerte und auch CD-Aufnahmen. Das Repertoire ist sehr breit – Bohuslav Martinu, John Adams, Erich Wolfgang Korngold. Geplant ist nun als nächstes die 5. Symphonie von Gustav Mahler in einer Kammerorchesterfassung, die ich gerade arrangiere. Young Opera Company und die Holst-Sinfonietta sind unabhängige Vereine, die gut zusammenarbeiten. Bei beiden habe ich die künstlerische Leitung.
Kultur Joker: Wo und wie finden Sie die Stücke, die Sie machen möchten? Und welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
Klaus Simon: Wir suchen Stücke für eine eher kleine Solistenbesetzung ohne Chor. Alles andere wäre zu aufwändig. Wir suchen Kammeropern – die Nische, die man an großen Häusern kaum findet. Die Opern müssen musikalisch wertvoll und machbar sein. Ich bestelle mir häufig Partituren von großen Musikverlagen. Da bin ich Jäger und Sammler. Ich lese sehr viel Opernkritiken – auch hierbei ist schon die eine oder andere Idee entstanden. Die Oper „Kopernikus“ von Claude Vivier, die wir mit großem Erfolg vor zwei Jahren in der Christuskirche gemacht haben, entdeckte ich beispielsweise über die Website des Verlages Boosey & Hawkes. Ich hatte keine Ahnung von dem Komponisten. Als ich mir dann die Partitur angeschaut hatte, wusste ich: Das machen wir! Cornelius Bauer war ebenfalls begeistert. Die Oper haben wir mittlerweile auch auf CD eingespielt, die dieses Jahr erscheint.
Kultur Joker: Welche Vorteile hat die YOC gegenüber einem Stadttheater? Und welche Nachteile?
Klaus Simon: Der wichtigste Vorteil ist sicherlich die absolute Freiheit im Repertoire. Nachteil ist, dass wir immer wieder neu anfangen müssen. Und dass wir keine Werkstätten haben. Wir müssen uns alles aus den Fingern saugen und immer wieder improvisieren. Wenn wir im E-Werk spielen, haben wir keinen Schnürboden und keine Drehbühne. Das ist schon ein sehr begrenzter theatralischer Raum. Unsere Ausstatter müssen sich mit einfachen Lösungen arrangieren. Wir verhandeln gerade mit dem Theater Freiburg über eine Koproduktion für die übernächste Spielzeit. Das wäre für uns sehr spannend, einmal die Infrastruktur eines echten Theaters für unsere Arbeit nutzen zu können.
Kultur Joker: Das Neu-Anfangen-Müssen betrifft bestimmt auch immer die finanzielle Ausstattung.
Klaus Simon: Ja, das ist insgesamt schon sehr mühsam. Im Augenblick erhalten wir neben der institutionellen Förderung von jährlich 15.000 Euro durch die Stadt Freiburg auch noch eine auf drei Jahre begrenzte Förderung von jährlich 30.000 Euro durch den Landesverband Freier Theater Baden-Württemberg. Damit finanzieren wir beispielsweise unseren Manager. Das Problem ist, dass Ende 2015 diese Förderung wieder ausläuft. Und ein Nachfolgemodell ist zumindest im Augenblick nicht in Sicht. Aber vielleicht schaffen wir es ja, in dieser Zeit ein paar Koproduktionen und Gast-Engagements auf die Beine zu stellen. Wir sind aber nach wie vor ein Low-Budget-Verein. Ich verdiene nur, wenn ich gerade ein Projekt erarbeite. Bis 1999 habe ich gar kein Geld mit der Holst-Sinfonietta und der Young Opera Company verdient. Auch die Solisten und Musiker werden nicht gut bezahlt. Wegen des Geldes machen sie nicht bei uns mit. Da muss schon immer viel Leidenschaft für die Sache dabei sein.
Kultur Joker: Sind Sie auf der Suche nach einer eigenen Spielstätte?
Klaus Simon: Eigentlich nicht, auch wenn wir schon nach Alternativen zum E-Werk Ausschau halten. Aber ein eigener Bühnenraum, wie es zum Beispiel das Theater der Immoralisten hat, kommt für uns nicht in Frage, weil wir ja nur eine Produktion im Jahr machen. Diese Menge an Stücken, die die Immoralisten herausbringen, ist schon beachtlich. Hut ab vor Florian Wetter und Manuel Kreitmeier. Das sind die Fleißigten von allen freien Gruppen. Aber Sprechtheater ist nun mal deutlich billiger als Oper. Im Gegensatz zu denen mache ich auch etwas anderes. Ich arrangiere viel, gebe Liederabende, dirigiere die Holst-Sinfonietta. Besonders die Arrangements laufen sehr gut. Mittlerweile bietet mir mein Verlag Univeral Edition einen exklusiven Vertrag an für einige weitere Mahler-Symphonien. Darüber freue ich mich natürlich sehr.
Kultur Joker: Was waren für Sie im Rückblick die wichtigsten Projekte der Young Opera Company?
Klaus Simon: John Adams‘ Songplay „I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw the Sky“ war in jeder Hinsicht eine bemerkenswerte Produktion. Das Stück war nach der Uraufführung in der Peter-Sellars-Inszenierung ziemlich durchgefallen. Unser Regisseur Joachim Rathke und sein damaliger Bühnenbildner Philipp Kiefer haben die Bühne des E-Werks in eine große Diskothek verwandelt. Das hat die vielen jungen Leute, die das Stück gesehen haben, sehr angesprochen. Die Musik ist ja eine Mischung aus Musical, Pop und Minimal Music. Wir haben Musicalsänger und eine Band engagiert. Erstmals hat ein Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorbeigeschaut und eine hymnische Kritik geschrieben. Und unsere erste Aufnahme bei Naxos haben wir auch damit bestritten. Das war ein großer Erfolg und ein echter Motivationsschub für die nächsten Jahre. Im gleichen Atemzug würde ich „Kopernikus“ von Vivier nennen. Hier hatten wir großartige Ensemblesänger. Das Stück ist einzigartig in seiner Nichthandlung. Diese beiden Produktionen waren unsere Leitsterne.
Kultur Joker: Sie feiern Ihr Jubiläum mit der Kinderoper „Die drei Rätsel“ von Detlev Glanert. Warum eine Kinderoper?
Klaus Simon: Das muss ich gleich korrigieren. Es ist eine Oper für Kinder und Erwachsene – sozusagen ein Hybrid von großer Oper und Kinderoper. Das ist ein lang gehegter Traum. Ich wollte die Oper schon 2007 in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Theater auf die Bühne bringen, aber das hat sich dann zerschlagen. Man muss zum Jubiläum auch mal etwas machen, was man sonst nicht so macht. Wir haben siebzig Mitwirkende – das ist ein echtes Eventchen. Wir haben Kinderstimmen für die Soli gecastet und arbeiten mit der Jugendkantorei der Christuskirche zusammen. Mit Lukas Grimm vom Freiburger Kammerchor haben wir einen ausgezeichneten Chorleiter dafür gefunden. Er macht die Einstudierung und singt im Chor Tenor: ein echter Glücksfall. Es gibt sechs Erwachsenen-Solisten und zwei Partien für Kinder-Solisten. Da wir diese aber doppelt besetzen, haben wir insgesamt vier Kinder engagiert. Für das 35-köpfige Jugendorchester habe ich mein Jugendorchester, das ich von 2006 bis 2008 dirigierte, wieder reanimiert. Hier betreiben wir schon einen enormen Aufwand.
Kultur Joker: Wie klingt die Musik?
Klaus Simon: Die Oper klingt gar nicht explizit modern. Achtzig Prozent der Musik ist tonal, würde ich sagen. Die Oper ist ein echtes Erfolgsstück. Sie wurde 2003 geschrieben und in Halle uraufgeführt. Wir sind nun schon die zehnte Produktion. Das ist für ein zeitgenössisches Stück sehr gut. Glanert hat wirklich großartig für die Stimmen und Instrumente komponiert. Das passt einfach alles sehr gut, wirkt unglaublich natürlich. Mit solch einer Oper spricht man auch ein ganz breites Publikum an. Mit Kindern zu arbeiten, ist eine sehr wertvolle Erfahrung. 2006 haben wir die Kinderoper „Noye‘s Fludde“ von Benjamin Britten gemacht. Jahre später hat mich dann einer der Beteiligten angesprochen und von der Arbeit geschwärmt. Ein anderes Mädchen, das damals dabei war, möchte Schulmusik studieren. Und einer der jungen Sänger, der bei „Die Drei Rätsel“ die Hauptrolle Lasso singt, ein elfjähriger Knirps, möchte Tenor werden. Die Musik von Detlev Glanert hat Atmosphäre – und einen großen Bogen. Alles ist drin. Ein Wechselbad der Gefühle. Unterhaltsam, und doch nicht banal. In Freiburg haben wir seine Musik nie erlebt. Es ist also höchste Zeit für eine seiner Opern.
Kultur Joker: Um was geht es in der Oper?
Klaus Simon: Es geht darum, wie ein pubertärer, durchgeknallter junger Bursche zu einem verantwortungsvollen jungen Mann reift. Sein Ziel ist es, die Liebe der Prinzessin Scharada in einem fernen Märchenreich zu erobern. Er muss Abenteuer bestehen, Krisen meistern – und hat auch einen Gefährten. Das ist vergleichbar mit Tamino und Papageno in der „Zauberflöte“. Grausamkeit kommt genauso vor wie Zuneigung und Liebe. Die Kinder sind die Hauptfiguren, die Erwachsenen haben Nebenrollen.
Kultur Joker: Was wünschen Sie sich für die nächsten zwanzig Jahre?
Klaus Simon: Dass wir überregional Veranstalter finden und an schönen Orten unter guten Rahmenbedingungen wirken können. Und dass uns diese Neugierde nach abseitigem Repertoire erhalten bleibt und wir niemals Mainstream bedienen müssen. Dann würde ich sofort meinen Stab abgeben. Mainstream ist der Anfang von Erstarrung. Und Erstarrung ist der Anfang vom Ende jeglichen kulturellen Denkens.

Premiere von „Die drei Rätsel“: 18. Oktober, 19 Uhr, Freiburger E-Werk. Weitere Vorstellungen: 19./21./24./25./26. Oktober, jew. 19 Uhr. Schulvorstellungen: 23./24. Oktober, 11 Uhr. Karten: www.reservix.de