Können Künstler Helden sein?

Rezension: „Künstlerhelden? Heroisierung und mediale Inszenierung von Malern, Bildhauern und Architekten“

Gemeinhin versteht man unter Helden tapfere Krieger, die in Liedern und Sagen Anerkennung fanden. Oder zumindest uneigennützige Menschen, die ein vorbildhaftes Verhalten an den Tag legen und in schwierigen Situationen stets kühlen Kopf und andere vor Unglück bewahren. Aber kann auch der Künstler ein Held sein? Wie will er mit seiner Kunst andere – oder gar die Welt – retten? Diesen Fragen geht das Buch „Künstlerhelden? Heroisierung und mediale Inszenierung von Malern, Bildhauern und Architekten“ (kürzlich erschienen bei ›ad picturam‹, Merzhausen) nach.

Neben dem Topos des Helden kommt hier auch der Kunstbegriff ins Spiel. Dass sich die Auffassung beider Kategorien mit dem Wandel der Zeiten stets veränderte, macht die Sache nicht leichter. Nun nahmen sich in einem Überblick und in methodisch reflektierter Weise erstmalig die Experten Sabine Feser, Anja Grebe, Ulrich Heinen, Andreas Henning, Hans W. Hubert, Angeli Janhsen, Henry Keazor, Barbara Lange, Doris H. Lehmann, Laura Rodrigues Nöhles und Andreas Thielemann dieser Frage an.

Zur Sprache kommen herausragende Künstlerinnen und Künstler, die bereits Gegenstand einer Vortragsreihe waren, die 2013/14 an der Universität Freiburg in Zusammenhang mit dem Sonderforschungsbereich SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne“ veranstaltet wurde, ergänzt durch weitere neue Beiträge.

Dabei werden die verschiedenen Medien, Ausdrucksformen und Topoi, die bei der Künstlerverehrung verwendet wurden, in den Fokus genommen. Zudem wird aufgezeigt, zu welchem Zweck die Künstler in den Olymp gehoben wurden; beziehungsweise welche kulturellen, gesellschaftlichen, politischen oder nationalen Interessen dahinterstanden. Und dies macht das Buch gerade auch für heute so spannend, da sich die Mechanismen gar nicht so sehr von denen noch vor Jahrhunderten unterscheiden.

Sind wir nicht alle Künstlerhelden?

Wie aktuell dieses Buch ist, zeigt sich schon darin, dass uns Heutigen der Begriff „Künstlerhelden“ zunächst gar nicht so fragwürdig erscheint; – zumal in den „Social Media“ der Eigenpräsentation und Selbstinszenierung inflationär gefrönt wird, um möglichst viele Bewunderer (genannt Follower) hinter sich zu scharen. Denn: Sind wir nicht alle Künstler (gleichbedeutend mit Individuen)? Und sind wir nicht alle auch (durch Therapien bestärkte) Helden?

Ob verehrt oder versehrt – die Palette der hier nachgezeichneten Künstlerhelden-Biografien ist groß, die Wege des Ruhms sind ja auch vielfältig. „Genau genommen gibt es die Kunst gar nicht. Es gibt nur Künstler“, begann schon Ernst Gombrich seine berühmte ›Geschichte der Kunst‹. So wird also auch Kunstgeschichte geschrieben: Nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrhunderte- und jahrzehntelangen Heroisierung oder Selbstinszenierung dürften sämtliche Protagonisten der heutigen Allgemeinheit wohlbekannt sein – Andrea Mantegna, Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo, Peter Paul Rubens, Albrecht Dürer, Nicolas Poussin, Hans Makart, Frida Kahlo, Joseph Beuys und Marina Abramovi.

Es gibt nicht nur Künstler, es gibt auch Sponsoren. Diese verstehen es nicht erst seit heute, die Evolution der Kunst in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ein erstes markantes Beispiel stammt mit Andrea Mantegna (von Andreas Thielemann) aus der frühen Neuzeit, am Ende des Quattrocento im Stadtstaat Mantua. Dieser erhielt von Ludovico Gonzaga, Sohn des Markgrafen Luigi III. Gonzaga und seit 1483 Bischof von Mantua, ein Grundstück. Das darauf erbaute Haus sollte die angemessene Repräsentation des Künstlers ermöglichen, in dessen Glanz stets der edle Spender mitaufschien. Zunächst nutzte Mantegna, auch genannt der „zweite Apelles“, das Gebäude als Bühne für seine Antikensammlung. Hohe Kunst aus alten Zeiten, deren Exponate bildeten raffiniert und wohlkalkuliert den Rahmen für das eigene Schaffen und legten so die Tradition nahe, an die der Künstler anknüpfte.

Auch wenn Mantegnas Kunstleistungen für die Nachwelt unstrittig sind, lebt eine solche Blase nur durch diejenigen, die den Ruhm und Glanz des Verehrten auch zurückspiegeln. „Die Aufdeckung von Inszenierungen, Manipulationen und Herrschaftstechniken aller Art ist in Zeiten, die sich als progressiv und aufklärerisch verstehen, gleichsam ein forschungs-politischer Dauerauftrag“, begründet Thielemann sein Vorgehen, das durchaus zum Verständnis auch des heutigen Starkults beizutragen vermag.

Auch Peter Paul Rubens (von Ulrich Heinen) hatte selbst Anteil an der Inszenierung seines Künstlerdaseins, indem er die mit ihm verbundenen Topoi durch die Darstellung antiker Bildthemen regelrecht nährte. Doch nutzte Rubens seinen Ruhm im Sinne einer politischen Einflussnahme als Kriegs- und Friedensdiplomat, weshalb er nicht nur im Sinne seiner künstlerischen Fähigkeiten, sondern als politischer Maler auch inhaltlich motiviert – und somit tatsächlich heldenhaft – agierte.

Selbst- und Fremdheroisierung

Schon immer spielte für den künstlerischen Erfolg eine große Rolle, wie gut sich jemand vermarkten konnte. Allein die Fotografie des Titelbilds, darauf der Wiener Maler-Star Hans Makart (von Doris H. Lehmann) im Festzugskostüm zu Pferde (1879), vermittelt anschaulich einige grundlegende Strategien, wie man sich werbewirksam in Szene setzt. Seine Selbstinszenierungen brachten ihm gleichermaßen Bewunderer wie Hasser ein. Immerhin wurde der „Malerfürst“ auf diese Weise zur Identifikationsfigur Wiens, deren Ruhm als „größter Colorist der Neuzeit“ posthum immer weiter anwuchs. Seine Totenmaske und der in Marmor nachgefertigte Gipsabdruck seiner Hand sollten später gar reliquienhafte Züge annehmen. Zentrales Medium für die Selbstheroisierung waren seit jeher das Selbstporträt sowie die Selbstdarstellung in historischen Kontexten. So durfte in diesem Reigen der Selbstinszenierung natürlich Albrecht Dürer nicht fehlen (von Anja Grebe), der bereits überaus zielgerichtete Imagebildung betrieb.

Die Fremdheroisierung hingegen setzte häufig erst nach dem Ableben des Künstlers ein. „Das Schwein und der Künstler werden erst nach ihrem Tode geschätzt“, lakonisierte einst der Komponist Max Reger. Dass manche Künstler oder Werke in den Fokus der kollektiven Betrachtung gerückt sind und andere nicht, verdankten sie häufig ihren Biographen, die deren Heroisierung initiierten. Ausgehend von Giorgio Vasari („Vite“, 1550/68) entwickelte sich seit der Renaissance die Künstlerbiographie zum Medium schlechthin, verblichene Künstlerseelen in den Götterhimmel zu befördern.

Einige, etwa Leonardo da Vinci, wären natürlich ohnehin da oben angekommen. Seine Verehrung als heroische Figur ist überaus vielseitig, wie Sabine Feser darlegt, und als „uomo universale“ seinen vielen Schaffensbereichen als Maler, Zeichner, Forscher und Erfinder geschuldet. Vasaris Lebensbeschreibung glorifizierte ihn schon zu Lebzeiten. Fortan wurde er in jeder darauffolgenden Epoche anders interpretiert, Leonardo wurde zur Marke. Zuletzt als Action-Hero im gleichnamigen Hollywood-Streifen, in der Comic-Serie „S.H.I.E.L.D“ (2010) oder in Computerspielen, wo er als genialer Erfinder von Waffen- und Fluggeräten die Welt vor ihrem Rückfall ins finstere Mittelalter bewahrt.

Nicolas Chaperon, Raffaels Ruhm, Sacrae Historiae Acta a Raphaele Urbin, Rom 1649, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett (Aufsatz Henning)
Nicolas Chaperon, Raffaels Ruhm, Sacrae Historiae Acta a Raphaele Urbin, Rom 1649, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett (Aufsatz Henning)

Auch Raffael (von Andreas Henning), dessen Rezeption stark werkbasiert ist, gehört unstrittig in den Olymp. Die hohe innovative und zugleich immer auch sinnfällige Qualität seiner Werke war die wichtigste Ursache dafür, dass er von Beginn an von elitären Gesellschaftskreisen beauftragt wurde und sich posthum zum Star der Kunstsammlungen entwickelte. Nicolas Poussin (von Henry Keazor) wurde regelrecht in den Götterhimmel hochgejubelt. Zum einen griffen spätere Künstler wiederholt seine Sterbeszene auf, was schließlich 1822 zur entrückten Darstellung des „Triumph der Malerei. Die Apotheose von Poussin“ von Charles Meynier führte. Zum anderen wurde der Maler über die verschiedenen Stationen mehrerer Biografen regelrecht zur Heroenfigur hochstilisiert. Dies wiederum beeindruckte Richard Strauss derart, dass er 1898 nach deren Vorbild eine Tondichtung „Ein Heldenleben“ (op. 40) komponierte.

Ein interessantes, weil entgegengesetztes Beispiel ist Michelangelo (von H. W. Hubert), der als Erster im Wortsinne die inhaltliche Grenze zwischen „Künstler“ und „Held“ aufzuheben vermochte. Befördert durch seine dramatischen Lebens-umstände brach sich mit ihm ein rebellisch subjektives Kunstschaffen Bahn, was ihn schließlich zur Heldenfigur formte. Das Leiden war der ständige Begleiter der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (von Laura Rodrigues Nöhles). Als Frau, zudem körperlich versehrt, fiel damit auch ihr ein Opferstatus zu, der ihr schließlich die Anwartschaft am Reigen der bisher durchweg männlichen Künstlerhelden zutrug. Ihr exotisch-erotisches Äußeres und ihr linkspolitisches Engagement taten das Übrige dazu.

Der moderne Künstlerheld muss ein Kämpfer sein

Zur Ausnahmeerscheinung avancierte auch Joseph Beuys (von Barbara Lange), der als Kriegsversehrter die Bühne der Kunst betrat. Geheimnisumwittert und charismatisch war sein Habitus. Indem er den eigenen Körper als Projektionsfläche nutzte, stilisierte sich der Künstler selbst zur Kunstfigur. Lob und Verehrung erhielt er also nicht nur für sein Schaffen, Beuys war ein wandelndes Gesamtkunstwerk. Je mehr er sich als Antibürger-, als Bürgerschreck inszenierte, desto mehr Beifall bekam er vom Publikum.

Der moderne Künstlerheld muss ein Kämpfer sein, um die Legitimation zum Heroen zu erlangen. Diesen Umstand verstand auch Marina Abramovi (von Angeli Janhsen) seit jeher publikumswirksam einzusetzen. Deren inszeniertes Video „The Hero“ über oder für ihren Vater zeigt anstelle des Helden sie selbst auf einem Schimmel, mit weißer Fahne posierend. Ihre Performance ist an sich zwar Inszenierung, die aber gar nicht der eigenen Heroisierung gilt – was sie natürlich wiederum (publikumswirksam) adelt. „Sie handelt als Künstlerin wie ein Held: setzt Regeln außer Kraft, übertritt Gesetze, wenn nötig für höhere Ziele, ist rücksichtslos, Schmerzen und Strafen interessieren sie nicht. Ihre Ziele und Werke stehen ihr über allem“. Somit zeigt Abramovis Beispiel, dass künstlerische Selbstinszenierung durchaus Mittel zum ›heiligen‹ Zweck sein kann, indem sie die Aufmerksamkeit über den Umweg der eigenen Person als Projektionsfläche auf „höhere Ziele“ richtet.

Gute Lesbarkeit bei hohem wissenschaftlichem Anspruch

Dieses Buch ist trotz seines hohen wissenschaftlichen Anspruchs selbst für Laien verständlich geschrieben. Hinzu kommt seine schöne Aufmachung, die – anschaulich bebildert in hervorragender Qualität – diese Ausgabe auch in sinnlich-haptischer Hinsicht zu einem Genuss macht. Es ist nach der Veröffentlichung ihrer Dissertation („Armeleutemalerei“ 2013) im neu gegründeten Eigenverlag ›ad picturam‹ sozusagen das „Meisterstück“ der jungen Freiburger Verlegerin Carmen Flum, die – so ist auf ihrer Homepage zu lesen – gemäß dem Motto „klein, aber fein“ vergleichsweise wenige Buchprojekte im Jahr, diese jedoch, sei es als Printausgabe oder als Onlinepublikation, in enger Zusammenarbeit mit den Autoren und mit viel Liebe zum Detail realisiert.
Entsprechend ist hier das Verhältnis von Form und Inhalt einfach stimmig. Und ein Buch, das Intellekt und Sinne gleichermaßen anspricht, trägt nun mal ungemein zum Vergnügen der Lektüre bei.

„Künstlerhelden? Heroisierung und mediale Inszenierung von Malern, Bildhauern und Architekten“, Katharina Helm, Hans W. Hubert, Christina Posselt-Kuhli und Anna Schreurs-Morét (Hg.), Freiburg-Merzhausen 2015, ad picturam Fachverlag für kunstwissenschaftliche Literatur e. K., ISBN 978-3-942919-02-9, Hardcover, Fadenheftung, 26,5 x 20 cm, 329 Seiten, 112 Abbildungen, 38,00€. www.ad-picturam.de.

Friederike Zimmermann

Dieser Artikel erschien ursprünglich in: “UNIversalis-Zeitung – Für Universität und Hochschulen in Freiburg”, Sommer 2016, 22. Ausgabe/ 12. Jahrgang.