Kafka-Revue: „Der Bau“ im Theater der Immoralisten

Albtraumhafte Ohnmachtsfantasien

Eine Mauer aus schlackenschwarzen Quadern, die lautlos auseinander gleitet. Dahinter eine weiße Wand und ein großer, ferngesteuerter Plastikhai, der mit sanft wedelnder Schwanzflosse minutenlang durch die Stille kreuzt. – Eine skurrile und starke Szene, mit der die Immoralisten ihre Kafka-Revue „Der Bau“ eröffnen – komisch und unheimlich zugleich (Bühne: Manuel Kreitmeier, Markus Wassmer).

Foto der Schauspieler Markus Schlüter, Chris Meiser und Christina Beer in Kafkas "Der Bau"
Markus Schlüter, Chris Meiser und Christina Beer in Kafkas „Der Bau“

In diesem Sinne geht es weiter, wenn jetzt die Spieler vor die Mauer treten und sich im Sprechchor als fünf Freunde präsentieren, die einen sechsten nicht gebrauchen können: Entschieden und mit kaum verhohlener Aggressivität stehen sie da, das Messer schon in Richtung Publikum gezückt. Der Hingucker dieser eingeschworenen Gemeinschaft sind zwei platinblonde Barbie-Girls, die wie ein geklontes Schulmädchen-Domina-Klischee in Lackmänteln und Highheels posieren (Chris Meiser, Christina Beer). In der folgenden Szenencollage wird man sie mal als Erzählerinnen, mal als Beiwerk in futuristischen 60er Jahre Outfits erleben, immer undurchschaubar, immer mit einer Spur lustvoller Grausamkeit unter ihrer glatten, kühlen Anmut: Kess die eine, stoisch die andere.

Wer? Was? Warum? – das ist bei Kafka nebensächlich. Er ist der Meister albtraumhafter Ohnmachtsfantasien, bei denen Opfer und Täter wie Marionetten in einem System verwirrender Absurdität agieren: Ein Durchschauen oder gar Entkommen gibt es nicht, vor allem aber keine Solidarität und keine Hilfe. Nicht umsonst existiert das Adjektiv „kafkaesk“. Zehn weitgehend unbekannte Kafka-Texte hat Regisseur Manuel Kreitmeier jetzt mit seinem Ensemble inszeniert und miteinander verzahnt. Anders als in der letzten Produktion „Schuld und Sühne“ nach Dostojewski geht es hier um die Opferperspektive. Den passenden Soundteppich dazu produziert Hannah Schwegler mit Cello, Computer und drei Kompositionen von Florian Wetter: mal verwirrend komplex wie bei einem avantgardistischen Stummfilm, dann wieder reduziert als einsames Pling eines U-Boot-Sonars oder als schräge Begleitung für den Heino-Song „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, den die beiden Platinblonden auf dem Tisch stehend plötzlich schmettern.

Alle diese Geschichten-Bruchstücke handeln vom Fremdsein, von Misstrauen, Bedrohung und Verfolgungswahn, nicht selten entwickeln sie eine finstere Komik: Ein Geschäftsmann (Markus Schlüter) fühlt sich von seinem neuen Nachbarn belauscht und bedroht, bekommt er jenen mysteriösen Herrn Harras doch nie zu Gesicht, weil der „wie der Schwanz einer Ratte“ in sein Büro gleitet. Einem Wanderer im Gebirge hackt ein Geier die Füße ab, Letzterer trägt Feinstrumpfhosen und einen Plastikkopf. Ein Steuermann wird von einem Unbekannten nieder gerungen, der übernimmt das Steuer, keinen stört das. Es gibt Tote, Mörder und gleichgültige Zeugen – nachvollziehbare Gründe aber keine. Und auch die Sprache bietet keine Anhaltspunkte, zerfasert in labyrinthische Sätze mit vielen Andeutungen.

Im Mittelpunkt dieser Collage steht Kafkas 1923/24 entstandene, unvollendete Erzählung „Der Bau“: Jochen Kruß gibt hier in Survival-Kluft und mit übergroßen Krallenhänden das Tier, das aus Angst vor Eindringlingen permanent seine riesige, unterirdische Anlage perfektioniert und zunehmend von Paranoia zerfressen wird: Kommen die Feinde von Außen? Sind sie schon in seinem Bau? Soll er flüchten oder sich verbarrikadieren? In einem atemlosen Monolog und mit schriller Fistelstimme steigert sich Kruß mehr und mehr in Hysterie und Wahnsinn. Ein interessanter Abend für Kafka-Fans, eindrücklich gespielt und inszeniert. Als politische Botschaft ein denkbar düsterer Appell sich einzumischen. Oder ist das eh sinnlos und zu spät?

Am 1./6./7./8./20./21./22./ 27./28./29. April, jeweils 20 Uhr, Theater der Immoralisten, Freiburg.
Infos/ Karten: www.immoralisten.de

Marion Klötzer

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