Im Interview: José F. A. Oliver, Begründer und Kurator des Hausacher LeseLenz

„mehrseitig / meersaitig“

Im Interview: J. F. A. Oliver
Im Interview: J. F. A. Oliver                                                Foto: Yves G. Noir

An Denkanstößen, ästhetischen Erfahrungen und kritischen Überlegungen wird es beim Hausacher LeseLenz auch diesmal gewiss nicht fehlen. Unter dem Motto „mehrseitig / meersaitig“ sind vom 8. bis zum 17. Juli Autorinnen, Autoren und Musiker aus Europa und der ganzen Welt angekündigt. Teils sind die illustren Gäste, die ihr Kommen zugesagt haben, griechischer, irakischer, iranischer, marokkanischer, nigerianischer und syrischer Herkunft. Die seit fast zwanzig Jahren in Hausach und im Mittleren Kinzigtal stattfindenden Literaturtage genießen über die Landesgrenzen hinaus Renommee. Zum Auftakt wird der Schriftsteller José F. A. Oliver, Initiator und passionierter Kurator dieses funkelnden Literaturfestivals, die drei diesjährigen Stadtschreiber begrüßen. Die folgende Eröffnungsveranstaltung mit dem arabischen Dichter Adonis darf als Highlight gelten; es gibt weitere Höhepunkte, darunter die Gesprächsrunde „Vom poetischen W:ort“. Unsere Mitarbeiterin Cornelia Frenkel hat José F. A. Oliver zu den Veranstaltungen befragt.

Kultur Joker: Bei der Eröffnungsveranstaltung lesen der 84-jährige Adonis, wohl bedeutendster Dichter der arabischen Sprache, Mohammed Bennis aus Marokko und Joachim Sartorius aus Deutschland. Worauf darf man sich freuen, was ist hier zu erwarten?
José F. A. Oliver: Die Begegnung dreier Dichter von weltliterarischer Bedeutung – poetisch, menschlich, politisch. Gleichzeitig auch eine Hommage an die Schönheit der arabischen Sprache. Drei Dichter im Gespräch, verbunden durch die Kraft und Kompromisslosigkeit, die Zärtlichkeit und Erkenntnisweisheit ihrer Gedichte. Eine wichtige Begleiterin des Abends wird zudem die Musik sein: Chopin und Jazz.

Kultur Joker: Lässt sich schon wissen, was die diesjährigen Stadtschreiber anstreben?
José F. A. Oliver: Wir haben drei Stadtschreiber, den Lyriker Tom Schulz aus Deutschland, den Erzähler Constantin Göttfert aus Österreich und den Romancier Franco Supino aus der Schweiz. Sie werden in Hausach schreiben und eigene Projekte entwickeln. Franco Supino hat gleichzeitig auch die Poetik-Dozentur des Hausacher LeseLenzes für Kinder- und Jugendbuch an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe inne. Ein Projekt, das ins zweite Jahr geht.

Kultur Joker: Zu Gast sind des Weiteren drei Preisträger des Adalbert-von-Chamisso-Preises, Sherko Fatah, Marin Kordić, Olga Grjasnowa. Die Werke dieser auf Deutsch schreibenden Autoren sind von einem Kulturwechsel geprägt, ihnen wird ein außergewöhnlicher Umgang mit der deutschen Sprache bescheinigt. Wie ließe sich der Sachverhalt charakterisieren?
José F. A. Oliver: Mit dieser Frage befassen sich bereits weltweit Doktorarbeiten. Mehrkulturelle Autoren sind nicht allein Brückenbauer zwischen den Kulturen. Das wäre zu wenig und zu „statisch“! Ihre Literaturen sind eine Art Fähren; diese bieten den Menschen, die sich auf sie einlassen, die Möglichkeit, sich selbst im Anderen, im Fremden zu begegnen. Das bringt Welt in die deutsche Sprache.

Kultur Joker: Eine Reihe illustrer Lyriker werden die Gesprächsrunde „Vom poetischen W:ort“ bestreiten. Wie sehen Sie heute die Gattung Lyrik, was spricht Sie an?
José F. A. Oliver: Ein Gedicht wirft einen auf sich selbst zurück, verlangt aktives, sich verantwortungsvoll beteiligendes Lesen. Es unterhält nicht, sondern hält den Leser und Zuhörer. Vielleicht ist die offene Form und das Nicht-definitive des Gedichtes das einzig Visionäre, was Literatur heute zu bieten hat, weil es dem Leser zutraut, sich selbst zu begegnen.

Kultur Joker: Eigens in den Blick genommen wird beim diesjährigen LeseLenz die Situation von Schriftstellern aus Afrika und dem Iran. Welche Grundgedanken sind dabei leitend?
José F. A. Oliver: Der LeseLenz besteht aus einzelnen Reihen und „Modulen“. Im letzten Jahr haben wir das Modul „Im Fokus“ eingeführt: Im Fokus Syrien; Im Fokus Ukraine; Im Fokus Türkei. Diese Reihe wird in diesem Jahr fortgeführt. Sprich, die Auseinandersetzung mit Literatur, die einen Zusammenhang mit Ländern aufweist, die uns momentan besonders beschäftigen. So stellt diesmal „Vielstimmiges Afrika“, kuratiert von Ilija Trojanow, Schriftsteller aus Afrika vor, um deren Literatur eine Präsenz in Deutschland zu geben und ihr die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Kultur Joker: Eine sehr spezielle Veranstaltung findet auf Anregung des tschechisch-österreichischen Schriftstellers Michael Stavaric statt, eine sogenannte „Inklusions-Lesung“. In deren Rahmen werden die Texte der finnischen Autorin Satu Taskinen in Gebärdensprache übersetzt. Wie kam es zu dieser Idee?
José F. A. Oliver: Es gibt 750.000 gehörlose Menschen allein in der Europäischen Union. Wir möchten, dass Menschen, die sich in der Gebärdensprache verständigen, auch an literarischen Veranstaltungen teilnehmen können. Dazu wollen wir einen Anfang leisten.

Kultur Joker: Im zweiten Teil der Abendveranstaltung führt der Chor des Robert-Gerwig-Gymnasiums Hausach mit seinem Partnerchor des Gymnasiums Athenaeum Stade „The Latin Jazz Mass“ von Martin Völlinger auf. Was ist das Besondere an dieser Musik?
José F. A. Oliver: Sie ist leidenschaftlich und eine Symbiose verschiedener Stilrichtungen – im Grunde wie der LeseLenz selbst – kein „Mix“, sondern eine vielstimmige Lebendigkeit, die Freude und Hoffnung kristallisiert, durch den Rhythmus und die subtilen Texte.

Kultur Joker: Neben den öffentlichen Veranstaltungen engagieren sich die Programmgestalter für die Vermittlung von Literatur und Sprache an Schulen, in Hausach, dem Kinzigtal und der Ortenau insgesamt. Die Reihe „kinderleicht & lesejung“ hat sich zum erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchprogramm entwickelt. Wie haben Sie dies erreicht?
José F. A. Oliver: Im vergangenen Jahr waren über 60 Schulklassen aus der gesamten Ortenau integriert, über 2.500 Schülerinnen und Schüler. Ich sah irgendwann eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin im Europapark in Rust, dann dachte ich mir – das wärs: Ausflüge in die Literatur – wir müssen Ausflüge in die Literatur organisieren. Ich habe dann kurzerhand die Schulen in der Ortenau angeschrieben und das Projekt „kinderleicht & lesejung“ vorgestellt. Wenig später entstand so eine Kooperation mit der Bildungsregion Ortenau (BRO), die uns logistisch unterstützt. Die Schulklassen erhalten jeweils das Buch des Autors, für den sie sich entschieden haben und die Eltern aller Schülerinnen und Schüler ein Faltblatt mit den Informationen zu den Lesungen.

Kultur Joker: Welche Veranstaltungen, die bis jetzt noch nicht erwähnt wurden, möchten Sie dem Besucher außerdem ans Herz legen?
José F. A. Oliver: Die Matinee am Sonntagmorgen bei „Korb-Welzel“ in Hausach. Eine Schweizer Autorin griechischer Herkunft, Dagny Gioulami, tritt dort gemeinsam mit dem Musiker Philipp Schaufelberger auf. Zuvor liest der Erzähler Markus Orths – das gibt bestimmt eine schön-intensive Einstimmung in den LeseLenz-Sonntag.

Kultur Joker: Herr Oliver, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns auf den Besuch in Hausach.

18. Hausacher LeseLenz. Vom 8. – 17. Juli 2015 an verschiedenen Orten: www.leselenz.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert