Franz Kafkas „Der Prozess“ im Theater der Immoralisten

Jede Menge Abgründiges

Da liegt er wie ein gefallener Engel in Ripp-Unterwäsche und Socken mitten auf dem roten Teppich einer zweitklassigen Showbühne im Theater der Immoralisten. Gleich zweimal schmückt Josef K.s riesengroßes Porträt im Retrostil die Wand, dazwischen blinkt ein Leuchtschild mit den Worten „Go“, die Pfeile weisen in entgegengesetzte Richtungen.

Jochen Kruß als Josef K.
Jochen Kruß als Josef K.

Dann wacht der halbnackte Mann mit genüsslichem Geräkel auf und kräht „Frühstück!“ wie ein verwöhnter Prinz. Doch statt seiner Vermieterin stehen da plötzlich zwei Typen mit langen Trenchcoats und Clownsnasen im Zimmer und gackern: „Herr Josef K.? Sie sind verhaftet!“.

Vielleicht ist ja alles nur ein schlechter Geburtstagsscherz, da aber hat sich der Prokurist in all seiner Obrigkeitshörigkeit schon längst in wilde Paranoia verstiegen und macht sich zum Spielball eines Systems, ohne dessen Regeln und Sinn auch nur in Ansätzen kapieren zu wollen. Jedenfalls zeigt er jetzt zittrig seinen Bibliotheksausweis: Wessen er sich schuldig gemacht hat und wer diese zwei Spaßvögel überhaupt sind – alles Nebensache.

Franz Kafkas unvollendeter und postum erschienener Roman „Der Prozess“ wird zum einen als Kritik an einer undurchschaubaren, willkürlichen und auch faschistoiden Bürokratie gelesen, zum anderen zeigt er eine Odyssee durch das Dickicht von Unmündigkeit und Bewusstwerdung. Florian Wetter legt in seiner Adaption noch einen drauf, in dem er die kafkaeske Absurdität in Anlehnung an den amerikanischen Spielfilm „Truman Show“ zur schrillen Farce überzeichnet: Alle haben hier Spaß, alles dreht sich um Josef K., doch der hat so gar kein Talent zum Helden.

Jochen Kruß spielt ihn als echten Jammerlappen: Devot und erstarrt in vorauseilendem Gehorsam, nur selten sinnlos aufbrausend. Einer, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Ein Wurm und Stinkstiefel gleichermaßen, was sich nicht nur an seinen schrägen Frauenbegegnungen zeigt.

Um ihn herum wirbelt ein schriller Mummenschanz: Sein Richter (Florian Wetter) liest Pornohefte und schwingt auf einem Dachboden unmotiviert den quietschbunten Plastikhammer, während die Beisitzer gerade ein Match im Fernsehen gucken. Die Frauen (Chris Meiser, Gabriele Rissler/Verena Huber) sind lasziv-berechnende Aliens, seine vermeintlichen Helfer wie der Maler Titorelli (Sebastian Ridder), sein Onkel (Antonio Denscheilmann) oder Prozess-Leidensgenosse Block (Uli Winterhager) schlichtweg durchgeknallt oder ebenso paranoid wie er.

Alle wollen sich an ihm bereichern, alle schubsen ihn herum. Sogar sein PC- Passwort ist plötzlich ungültig. Allein das Mädchen mit dem Apfel (Aileen Rohde) bietet Antworten – aber da ist es für Josef K. schon zu spät. Ein apokalyptischer Albtraum.

Regisseur Manuel Kreitmeier lässt die Geschichte in schnell geschnittenen, bizarren Szenen mit wenigen Umbauten schnurren, es gibt sehr Komisches und jede Menge Abgründiges, dazwischen immer wieder den Jingel. Aber auch Längen, zu wenig fügen sich die Episoden in das Konzept einer Show, die bleibt Staffage.

Kurz vor seiner Hinrichtung zahlt der völlig verzweifelte und schicksalsergebene Josef K. noch seine eigenen Entsorgungsgebühren – zusammen mit dem Lampenschirm aus Menschenhaut beim Advokaten Hund ein Gruselszenario, das man kennt.

Weitere Aufführungen im Januar und Februar im Theater der Immoralisten in Freiburg. Termine und Karten: www.immoralisten.de

Marion Klötzer