Hendrijk Guzzoni, Mitglied des Freiburger Gemeinderates, im Interview

„Ein Streiter für Soziales geht!“ – Hendrijk Guzzoni verlässt den Freiburger Gemeinderat

Hendrijk Guzzoni (62), ein Urgestein des Freiburger Gemeinderats, dem er seit 16 Jahren angehört, Mitglied der DKP, in der Entwicklungshilfe in Äthiopien engagiert und ein heftiger Streiter für sozial gerechtes Wohnen, scheidet mitten in der Legislaturperiode aus dem Stadtparlament aus – Grund genug, ihn zu befragen. Das Gespräch führte Martin Flashar.

Kultur Joker: Lieber Herr Guzzoni, Sie verlassen im Juni den Freiburger Gemeinderat. Warum dieser Schritt?
Hendrijk Guzzoni: Ich habe die Tätigkeit im Gemeinderat immer als Zeitaufgabe, nicht als Lebensaufgabe betrachtet. Und das Prinzip der „ewigen Generalsekretäre“ hat mich schon in den Sozialistischen Ländern nicht überzeugt. Ich will mehr reisen, mich um mein Waisenkinderprojekt in Äthiopien kümmern, andere Schwerpunkte setzen im Leben. Politisch bleibe ich natürlich, was ich im Grunde meines Herzens immer geblieben bin: APO.

Kultur Joker: Wer war Berndt Koberstein?
Hendrijk Guzzoni: Berndt ging im Frühjahr 1986 als Aufbauhelfer nach Wiwili, Nicaragua. Dort war drei Jahre vorher der Freiburger Arzt Tonio Pflaum ermordet worden. Berndt war in Wiwili verantwortlich für den Bau einer Wasserleitung, die den Ort mit Trinkwasser versorgen sollte. Am 28. Juli 1986 wurde er von den (durch die USA unterstützten) „Contra“-Terroristen ermordet. Ich war zwei Jahre mit Berndt in einer Klasse und später, nachdem er eine Lehre als Schlosser begonnen hatte, wurden wir sehr enge Freunde. Unsere politische Entwicklung in diesen Jahren war stark miteinander verwoben.

Kultur Joker: Was hat es mit dem Berndt-Koberstein-Preis auf sich?
Hendrijk Guzzoni: Anlässlich seines 25. Todestages habe ich den jährlich mit 10.000 Euro dotierten „Berndt-Koberstein-Preis für Zusammenleben und Solidarität“ ausgelobt. Ich möchte mit dem Preis einerseits an meinen verstorbenen Freund erinnern und andererseits Werte hochhalten, die uns beiden besonders wichtig waren – und mir heute noch sind: die Solidarität der Menschen untereinander und ein gut-nachbarschaftliches, gleichberechtigtes, inklusives Miteinander. Von Che Guevara stammt der Satz: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“. Das beginnt aber eben schon in vielen kleinen Initiativen vor Ort. Und die sind für mich und die eingesetzte Jury oft auch preiswürdig.

Kultur Joker: Haben Sie ein bestimmtes Ereignis in Erinnerung, von dem Sie sagen würden: Das hat mich politisiert?
Hendrijk Guzzoni: Der Protest gegen den Vietnam-Krieg des US-Imperialismus war schon prägend. Ich wollte immer eine gerechtere Welt …

Kultur Joker: Warum soll ehrenamtliches Engagement im Gemeinwesen stattfinden? Was hat Sie konkret motiviert? Was möchten Sie den Jüngeren mitgeben?
Hendrijk Guzzoni: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Menschen konkret für ihre eigenen Interesen eintreten. Mein Engagement war davon motiviert, Menschen dabei zu unterstützen, für ihre Anliegen selbst aktiv zu werden. Ich halte Werte wie Solidarität für unverzichtbar. Und ein gutes Zusammenleben, lokal wie weltweit.

Kultur Joker: Inwiefern spielte denn dabei die Kulturpolitik eine Rolle?
Hendrijk Guzzoni: Wie könnte eine Welt gerecht sein, ohne schön zu sein? Und wie könnte sie schön sein, ohne Kultur? Heinrich Heine hat es in seinem „Deutschland ein Wintermärchen“ wunderbar zum Ausdruck gebracht, finde ich: „Ein neues Lied ein besseres Lied, oh Freunde will ich Euch dichten, wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten. (…) Es gibt hiernieden Brot für alle Menschenkinder und Schönheit und Lust nicht minder…“

Kultur Joker: Wie steht es mit der Kunst? Haben Sie da eine Affinität entwickeln können?
Hendrijk Guzzoni: Zur Malerei habe ich familiär einen Bezug. Und in den letzten Jahren hat mich, auch durch meine kommunalpolitische Tätigkeit, die Architektur immer mehr fasziniert.

Kultur Joker: Eines Ihrer Themen ist die Baupolitik in Freiburg. Da gibt es die soziale Komponente …
Hendrijk Guzzoni: Es gibt zu allererst eine menschliche Komponente: Baupolitik soll dazu beitragen, dass sich die Menschen in ihrer Stadt wohlfühlen. Dazu zählt einerseits eine ansprechende Ästhetik, dazu gehört auch eine gewisse Funktionalität – und dazu gehört dann auch die soziale Komponente. Wohnen ist Menschenrecht, es muss bezahlbar sein.

Kultur Joker: Aber ebenso interessiert doch in einer Stadt, die seit dem Münster und jetzt vielleicht mit der Uni-Bibliothek architektonisch (im Unterschied zu Weil am Rhein) nicht sonderlich viel zu bieten hat, die Gestaltungsfrage.
Hendrijk Guzzoni: Gute Gestaltung, Funktionalität und der soziale Aspekt sind von guter Baukultur nicht zu trennen. Besonders die Kunst im Öffentlichen Raum trägt zur Ästhetik bei, sie fördert auch Identifikation – und letztlich Zusammengehörigkeitsempfinden und Solidarität.

Kultur Joker: Was waren Ihre härtesten Kämpfe im Gemeinderat?
Hendrijk Guzzoni: Inhaltlich scharfe Auseinandersetzungen sind gut und machen auch Spaß, etwa jüngst um die 50%-Quote für geförderten Mietwohnungsbau. Unangenehm wird es, wenn unsachlich debattiert wird, wenn keine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet. Das ist besonders im Aufsichtsrat der Stadtbau der Fall. Permanent wird da unterbrochen, werden Positionen lächerlich gemacht, wird nach Blockbildung abgestimmt. Das macht mir wenig Freude …

Kultur Joker: Wie stehen Sie zur Freiburger Stadtbau GmbH?
Hendrijk Guzzoni: Es ist gut, dass wir sie noch haben – und schlecht, wie sie ihrem sozialen Auftrag nicht wirklich gerecht wird.

Kultur Joker: Was war Ihre größte Enttäuschung, was der wichtigste Erfolg?
Hendrijk Guzzoni: Bei den Haushaltsberatungen im Jahr 2007 hat unsere Fraktion 85 Haushaltsanträge gestellt, insbesondere gegen pauschale 10%ige Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich. In der zweiten Lesung wurden alle 85 abgelehnt, meist ohne Debatte und inhaltliche Begründung! Der politisch größte Erfolg fand nicht im Gemeinderat statt, sondern es war der erfolgreiche Bürgerentscheid 2006 gegen den Verkauf des städtischen Wohnungsbestands. Auch persönlich ein Erlebnis, das mich mein gesamtes Leben tragen wird. Im Gemeinderat: natürlich die schon erwähnte 50% Quote für geförderten Mietwohnungsbau. Und der allergrößte Erfolg kommt dort erst demnächst: die Einführung des Sozialtickets.

Kultur Joker: Wie sehen Sie die Entwicklung des Güterbahnhof-Areals? Hat die Stadt da etwas „verschlafen“?
Hendrijk Guzzoni: Die politische Ausrichtung der Stadt war von Anfang an falsch. Es wäre richtig gewesen, hier zukunftsweisenden Wohnungsbau zu errichten, verbunden mit nicht störenden Arbeitsplätzen und kulturellen Angeboten. Die alten Hallen wären als Kulturstandorte ideal gewesen. Klassische Gewerbegebiete befinden sich auf der Haid und im Gewerbepark Breisgau. Unsere Fraktion hat das bereits seit 2000 so vertreten. Erst in den letzten zwei, drei Jahren gibt es eine kleine Umorientierung bei Stadtverwaltung und Gemeinderat, zu spät und nicht ausreichend. Und: Es hätte natürlich für so ein Gebiet einen städtebaulichen Ideenwettbewerb geben müssen.

Kultur Joker: Was halten Sie von den stadtbekannten „Projektentwicklern“?
Hendrijk Guzzoni: Ich bin dagegen, in Feindbilder-Klischees zu denken. Nicht Herr Unmüssig ist das Problem, sondern dass die Stadt über viele Jahre ihre Bau- und Stadtentwicklungspolitik nach Investoreninteressen ausgerichtet hat und kein eigenes Leitmotiv für diese Politikfelder entwickelt hat. Auch hier ist eine leichte  Besserung festzustellen, z. B. mit dem neuen Perspektivplan.

Kultur Joker: Wie beurteilen Sie die Bedeutung und Rolle des Gestaltungsbeirats und der Kunstkommission? Schätzt die Stadt(verwaltung) diese Gremien wirklich?
Hendrijk Guzzoni: Gut, dass wir beide Gremien haben, unsere Fraktion hat jahrelang darum gekämpft. Ich habe den Eindruck, dass der Gestaltungsbeirat mittlerweile eine hohe Akzeptanz hat – von der Kunstkommission können wir das leider (noch nicht sagen). Ich denke, Empfehlungen der Kunstkommission müssten zwingend im Kulturausschuss Thema sein!

Kultur Joker: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Hendrijk Guzzoni: Ich werde mehr Zeit haben für „meine Kinder“, unser Waisenhaus-Kinderprojekt in Hawassa, Äthiopien (www.Kinderprojekt-Awassa.de), wo ich drei- bis viermal im Jahr vor Ort bin. Ich werde mehr reisen, etwas weniger gestresst sein und mehr Zeit für ein Glas Wein und eine Partie Doppelkopf mit Freunden haben. Und ich bleibe ein politischer Mensch, möchte im Vorstand der Linken Liste aktiv bleiben.

Kultur Joker: Lieber Herr Guzzoni, wir danken für dieses Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre künftigen Vorhaben alles Gute.

Hinweis:
Verleihung des Berndt-Koberstein-Preises 2016 an das Mietshäuser-Syndikat:
Dienstag, 3. Mai 2016, 19.30 Uhr, „Weinschlössle“, Ecke Wilhelmstraße / Schnewlinstraße. www.berndt-koberstein-preis.de

Bildquellen

  • Hendrijk Guzzoni verlässt den Freiburger Gemeinderat: Hendrijk Guzzoni im Waisenhau in Hawassa, Äthiopien, 2015