Im Gespräch: Carlos Santana, Gitarrist (Archiv, Juli 2016)

Meistergitarrist Carlos Santana, Woodstock-Veteran und Erfinder des Latin Rock, hat sich wieder mit seiner Originalband zusammengetan, mit der er Evergreens wie „Black Magic Woman“ und „Samba pa ti“ erschuf. Auf dem aktuellen Album „Santana IV“ verschmelzen singende Gitarrenklänge und Hammondorgel-Soli mit Latino-Rhythmen, Chicano-Rock, Jazz und Psychedelic. Olaf Neumann sprach mit Carlos Augusto Santana Alves über Woodstock, Donald Trump und Rezepte gegen Hass.

Kultur Joker: Mr. Santana, was auf “Santana IV” passiert, ist pure Magie. Sind Sie ein Zauberer?

Carlos Santana: (lacht) Ich bin genauso ein Zauberer wie Sie. Wenn du in eine andere Dimension gelangen willst, solltest du jeden Tag zwei Dinge tun: Wasser trinken und atmen! Willst du deiner Psyche und spirituellen Energie auf die Sprünge helfen, dann erinnere dich an deine Unschuld und deinen Hunger auf Abenteuer.

Kultur Joker: Und das befähigt Sie, auf Ihrer Gitarre tiefste Gefühle auszudrücken?

Santana: Yeah, exakt! So eindringlich und gefühlvoll kannst du nur spielen, wenn du nicht nachdenkst. Du musst glauben, dir selbst vertrauen und bloß nicht anfangen zu analysieren. Die Energie, die beim Spielen freigesetzt wird, entsteht definitiv nicht im Kopf. Du musst einfach nur an dich glauben!

Kultur Joker: Haben Sie sofort gespürt, dass Ihre Reunion mit Gregg Rolie, Michael Carabello, Michael Schrieve und Neil Schon funktionieren würde?

Santana: O ja. Die Chemie dieser Band ist ein Erfolgsrezept! Bei so viel Ehrlichkeit und Echtheit kann man gar nicht scheitern. Wenn man gemeinsam erfolgreich Musik machen will, muss man sein Ego an der Türschwelle abgeben und sich schweigend in die Ecke setzen können. Denn der Heilige Geist wird’s schon richten! Er ist dein bester Freund und immer an deiner Seite. Jeder Mensch hat ein göttliches höheres Selbst. Die Göttlichkeit ist in unserer DNA! Ich glaube fest daran, dass wir Wunder bewirken können. Glücklich zu sein ist ein Segen. Die meisten Menschen sind auch zum glücklich sein fähig, es sei denn, man ist leidgetränkt.

Kultur Joker: Welchen Einfluss hat der Rhythmus auf Ihr Spiel?

Santana: Rhythmus finde ich wahnsinnig spannend! Ich liebe den Klang von Schlagzeug und Percussion. Ich bin mit der Musik von Chico Hamilton, Gábor Szabó, Willie Bobo, Victor Pantoja und Tito Puente aufgewachsen. Und ich war immer auch von afrikanischer Musik fasziniert, von Congas und Timbales. Das unterscheidet mich von Led Zeppelin, Cream, Fleetwood Mac und Jeff Beck.

Kultur Joker: Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gitarre auch nach 50 Jahren noch viele Möglichkeiten und kleine Wunder beschert?

Santana: Yeah! Ich bin niemand, der die ganze Zeit übt. Das habe ich in meiner Jugend getan. Heute vertraue ich meinem Herzen. Es sagt mir, welche Gefühle ich in jede einzelne Note legen, wie einfühlsam oder grimmig ich spielen soll. Das, was man schon längst weiß, braucht man nicht mehr zu üben. Üben muss ich immer nur dann, wenn ich etwas von anderen spielen will. Die Musik von John Coltrane, Charlie Parker, Miles Davis, Herbie Hancock und Wayne Shorter ist nämlich sehr komplex. Ich will verstehen, in welcher Beziehung Akkorde und Melodien zueinander stehen. Etwas zu erlernen, was ich noch nicht kenne, ist wie eine Landkarte zu studieren. Vertrau deinem GPS, wenn du Musik machst!

Kultur Joker: Auf dem Album gibt es das sehr psychedelische und dunkle Instrumental „Fillmore East“. So hieß in den 70ern ein berühmtes Musiktheater in New York. Was wollen Sie mit diesem Stück ausdrücken?

Santana: Ginge man heute zu dem Gebäude, in dem sich einst das Fillmore East befand und kratzte an dessen Wänden, was würde man dann hören? Die Doors, Jimi Hendrix, Sly Stone, Grateful Dead, Miles Davis, Ravi Shankar! Bei diesem Stück haben wir uns vorgestellt, im Jahr 1968 oder 69 im Fillmore East zu sein und einen Joint zu rauchen. Und zu spielen ohne zu denken. Beim Musikmachen ist es ganz wichtig, seine Einbildungskraft zu nutzen. Die kann man trainieren wie einen Muskel. Dann kann dir nichts mehr passieren.

Kultur Joker: Sind weitere Alben in dieser Besetzung geplant?

Santana: Ja, wir würden gern „Santana V“ und „Santana VI“ machen.

Kultur Joker: Wie kamen Sie eigentlich darauf, ausgerechnet den legendären Soul-Shouter Ronald Isley als Gastsänger einzuladen?

Santana: Ronnie Isley kam eines Tages zu einem unserer Konzerte in St. Louis, wo wir gemeinsam mit Rod Stewart auftraten. Seine Schwägerin ist Rods Backgroundsängerin. Nach dem Konzert wollte Ronnie mich unbedingt treffen und dabei entstand die Idee, zusammen Musik zu machen. Wir nahmen dann in vier Tagen 16 Songs auf. Das Album erscheint in Kürze unter dem Titel „The Power Of Peace“. Im Gegenzug sollte Ronnie auf der neuen Santana-Platte singen. Er sagte ja, und so schrieb ich innerhalb von 20 Minuten die Songs „Love Makes The World Go Round“ und „Freedom In Your Mind“. Für mich ist der Sänger Ronnie Isley der König von Amerika und Aretha Franklin ist die Königin.

Kultur Joker: Sie leben heute in Las Vegas, wo Sie häufig im House Of Blues auftreten. Ist das Ihr Experimentierlabor?

Santana: So ist es, dort probiere ich alles aus, was ich liebe: afrikanische Musik, Bob Dylan, Marvin Gaye, Stravinsky. Ich weiß, dass die meisten die großen Santana-Hits wie „Black Magic Woman“, „Oye Como Va“ oder „Smooth“ hören wollen. Die kriegen sie auch. Aber dazwischen begebe ich mich mit meiner Band auf die Suche nach neuen Abenteuern. So bleibt es für uns immer frisch.

Kultur Joker: Spielen Sie auf Ihrer Tournee auch Material vom aktuellen Album?

Santana: Wir spielen jeden Abend andere Songs von der aktuellen Platte: „Freedom In Your Mind“, „Love Makes The World Go Round“, “Yambu”, “All Aboard”, “Suenos”, “Forgiveness”. Manchmal spielen wir auch “Choo Choo”.

Kultur Joker: Am Anfang Ihrer Karriere waren Sie häufig mit den Rolling Stones auf Tournee. Wer hat wen mehr beeinflusst?

Santana: Die Person, die dafür verantwortlich war, ist dieselbe, die uns damals nach Woodstock gebracht hat: Bill Graham. Eines Tages sagte er zu uns: „Jungs, ihr dürft im Vorprogramm der Rolling Stones spielen!“ Wir haben dabei sehr viel von dieser Band gelernt. Und sie hoffentlich auch etwas von uns.

Kultur Joker: Gemeinsam mit Ihrer Frau Cindy Blackman haben Sie kürzlich beim großen NBA-Finale in Oakland die amerikanische Nationalhymne in einer elektrifizierenden Version gespielt. Was ging Ihnen dabei durch den Kopf?

Santana: Wir wollten die Nationalhymne weder nationalistisch noch patriotisch oder militärisch erklingen lassen. Unsere Version sollte an legendäre Hymnen wie „Imagine“ oder „One Love“ erinnern. Ich glaube nicht an Flaggen. Patriotismus ist, als hielte man die Welt für eine Scheibe. Für mich ist die gesamte Menschheit eine Familie, wie Bob Marley und John Lennon es schon sagten. Eines Tages werden wir alle aufwachen und anfangen, auf uns gegenseitig aufzupassen – und zwar jenseits von Flaggen, Überlegenheitsdenken und imperialem Gehabe. Ich sagte zu meiner Frau Cindy: „Warum formen wir diesen Song nicht zu einer Pauschalhymne, zu der Frauen und Männer gemeinsam in Liebe tanzen, aber auch Apachen, Puerto-Ricaner, Chinesen, Iraner und Inder“.

Kultur Joker: Was bedeutet Ihnen Amerika?

Santana: Für mich ist Amerika ein gesellschaftliches Experiment. Hier ist alles vorhanden. Aber das Experiment ist noch nicht abgeschlossen. Eines Tages wird Amerika dem Rest der Welt sein Mitgefühl, seine Güte und seinen Großmut demonstrieren, der Politik und Religion weniger Raum geben und mehr in Bildung investieren. Was ich an Ländern wie Deutschland oder Japan mag, ist der Stolz, mit dem sie ihre Produkte präsentieren. Ich mag Mercedes, BMW und Porsche, das ist Qualität! Wie Beethoven und Steffi Graf. Mit der deutschen Integrität kann ich mich identifizieren. Diese Qualität will ich auch für meine Band. Und für Mexiko. Wenn wir bei unserem Handeln stets höchste Qualität anstreben, können wir bessere Menschen werden.

Kultur Joker: Wie fühlt sich für jemanden wie Sie, der in Mexiko geboren wurde, Donald Trumps Siegeszug an?

Santana: Ich sehe keinen Unterschied zwischen Donald Trump, Ronald Reagan, Richard Nixon und Lyndon B. Johnson. Es ist immer derselbe Clown, der ausschließlich Weiße repräsentiert und keine Braunen, Schwarzen, Gelben oder Roten. Trump repräsentiert jene Leute, die Angst davor haben, sich mit Andersfarbigen zu vermischen. Ihr Deutschen habt bereits eine Kanzlerin. Ich finde, auch Amerika braucht eine Frau an der Spitze, die dann hoffentlich mehr Flexibilität, Mitgefühl und Klarheit mitbringt als ihre männlichen Vorgänger. Amerika ist das Land der Möglichkeiten, wir sollten einer Frau diese Chance geben.

Kultur Joker: Haben Sie als Menschenrechtsaktivist eine Idee, wie man den gegenwärtigen Hass in der Welt ausmerzen kann?

Santana: Ja: mit mehr spiritueller Bildung! Mein Rezept gegen den Hass wäre ein weltweiter Fernsehkanal, der ausschließlich über schöne Dinge wie neugeborene Babies, Mitgefühl, Güte oder aufblühende Blumen berichtet. Ich glaube, das würde die kollektive Denkweise der Menschheit verändern, die gegenwärtig sehr verdreht ist. Das vorherrschende Gefühl ist Angst. Lasst uns mehr in Freude und Liebe investieren und wir werden sehen, wie sich der Planet sofort verändert.

Kultur Joker: Wie mächtig ist Musik?

Santana: Sie ist so mächtig, dass sie selbst zynische, arrogante Menschen, die hart wie Zement sind, zum Weinen bringt. Musik erweckt das Schöne, das sich in jedem Menschen verbirgt, zum Leben. Sie ist stärker als Angst und Wut.

Kultur Joker: Welcher Song oder welcher Künstler hat Ihr Leben verändert?

Santana: Das war John Col-tranes Album „A Love Supreme“. Es war nichts geringerem gewidmet als einer Revolution des menschlichen Bewusstseins. Das Leben ist wunderschön. Sie und ich haben die Möglichkeit, die guten Nachrichten zu übermitteln und auf diese Weise Angst in Liebe zu verwandeln. Danke sehr!

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Carlos Santana:
Carlos Santana wurde von dem Magazin Rolling Stone zu den 20 besten Gitarristen aller Zeiten gekürt. Das Woodstock-Festival brachte ihm 1969 den Durchbruch. Bis heute hat er 100 Millionen Platten verkauft, wurde zehnmal mit einem Grammy ausgezeichnet und ist Mitglied der Rock’n’Roll Hall Of Fame. Am 20. Juli 2017 wird er 70 Jahre alt – und ist kein bisschen leise. Parallel zu seiner regulären Santana-Band hat er die Jazz-Fusion-Gruppe Supernova ins Leben gerufen. Darin spielen neben ihm seine Frau Cindy Blackman, Herbie Hancock, Wayne Shorter und Marcus Miller. Ihr Debütkonzert findet am 24. August im Hollywood Bowl in Los Angeles statt. Des Weiteren plant Carlos Santana gemeinsam mit dem Gitarristen John McLaughlin ein Album mit weniger bekannten Stücken von John Coltrane aufzunehmen.

Ein Gedanke zu „Im Gespräch: Carlos Santana, Gitarrist (Archiv, Juli 2016)

  • 4. April 2017 um 00:42 Uhr
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    Vielen Dank für euren hilfreichen Artikel.

    Ich lese schon länger auf eurem interessanten Weblog. Und gerade musste mich mal
    zu Wort melden und ein „Danke“ hinterlassen.

    Macht genauso weiter, freue mich bereits jetzt schon auf die nächsten Artikel

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