Ghandi-Oper „Satyagraha“: Theater Basel tanzt grandios

Modulation Impossible

Die Schweizer Erstaufführung der Ghandi-Oper „Satyagraha“ von Phillip Glass, die sich mit den frühen Jahren Mahatma Gandhis in Südafrika und seiner dort entstanden Philosophie des gewaltfreien Widerstands beschäftigt, überzeugt vor allem durch die Tänzerinnen und Tänzer der Antwerpener Eastman-Kompanie.

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Schweizer Erstaufführung von „Satyagraha“ (© Koen Broos)

Die große Zeit der Minimal Music ist vorbei. In den 80er Jahren wurde Philipp Glass‘ Opernerstling „Einstein on the beach“ auf europäischen Bühnen rauf und runter gespielt als tonaler Kontrapunkt zur atonalen Musik der herrschenden Avantgarde. Im heutigen „Anything goes“ haben die endlosen Wohlfühlharmonien ihren subversiven Charakter verloren. Sie betten weich, statt sich mit Penetranz in die Gehörgänge zu bohren. Sie entwickeln kaum Sogwirkung, sondern drehen sich im Kreis. Das ist zu erleben bei der Schweizer Erstaufführung von Philipp Glass‘ zweiter Oper „Satyagraha“ .

Die Musik wird aus einfachsten Dreiklängen und Tonskalen gebildet, die selten variiert werden. Darüber schweben die oft parallel geführten Gesangslinien der Sänger in kitschiger Harmonie. Modulation impossible! Dabei ist die musikalische Interpretation auf sehr hohem Niveau. Man spürt in jedem Takt die große Vertrautheit des Sinfonieorchesters Basel mit dieser Musik. Der frühere Chefdirigent Dennis Russell Davies hat in den letzten Jahren einige Werke seines Freundes Philipp Glass mit dem Orchester erarbeitet. Auch der musikalische Leiter Jonathan Stockhammer besitzt großes Gespür für diese Musik, die immer im Fluss bleibt und einen steten Puls braucht. Die Streicher und Holzbläser (Blech und Schlagzeug sind nicht besetzt) spielen die Patterns mit bewundernswerter Genauigkeit und lassen in ihrer Intensität selbst bei der hundertsten Wiederholung nicht nach. Und wenn einmal die Repetitionen des Chores wie im zweiten Akt nicht genau zum Puls des Orchesters passen, dann hat Stockhammer schon nach wenigen Takten die Lage wieder im Griff.

Trotz der hohen Qualität der Interpretation ist es nicht die Musik, die den umjubelten, dreineinhalbstündigen Abend zusammenhält. Spannung entsteht durch die elf Tänzerinnen und Tänzer der Antwerpener Eastman-Kompanie, die mit größter Hingabe und Musikalität agieren und aus dem gleichförmigen Beat größte Expressivität entwickeln. Neben der Komischen Oper Berlin ist die Vlaamse Opera Antwerpen als Koproduzent dabei. Ihr Ballettchef Sidi Larbi Cherkaoui hat bei „Satyagraha“ die Inszenierung und Choreographie übernommen. Die Stationen aus Mahatma Gandhis Jahren in Südafrika (1893-1914) werden getanzt. Besonders die Gewaltszenen gelingen eindrucksvoll, wenn Gandhi, von Beginn an traditionell gekleidet (Kostüme: Jan-Jan Van Essche), von der Menge gepackt, geschlagen und um die eigene Achse gedreht wird. Rolf Romei ist mit seinem warmen Tenor nicht nur ein würdiger, asketischer Widerstandskämpfer, sondern wird auch physisch ganz in die komplexe Choreographie eingebunden.

Auch der agile, wache Chor (Einstudierung: Henry Polus) und das ausgezeichnete Solistenensemble werden vom Choreographen in dieses anspruchsvolle, sinnliche Bewegungstheater auf ganz natürliche Weise integriert. Den Flow gewinnt der Belgier dabei direkt aus der Musik von Philipp Glass, wenn sich einzelne in Trance tanzen oder einer die steile Rampe mit schnellen Schritten erklimmt und dann doch wieder in immer neuen Bewegungsvariationen hinabstürzt.

Die abstrakte Bühne von Henrik Ahr besteht aus einem von Stahlseilen gehaltenen Boden, der im Laufe des Abends in verschiedene Positionen gezogen wird. Eindrucksvoll, wie sich ein einzelner Tänzer unter der bedrohlich sich senkenden Decke windet oder wie beim Schlussbild Mahatma Gandhi, der Welt entrückt, auf der steilen Rampe im Lotussitz meditiert. Schon zu Beginn, wenn die Kontrabässe ihre viertaktige Figur spielen, die sich wie bei einer Passacaglia immer wiederholt, füllen die Tänzer die Musik mit Leben. Alle auf Sanskrit gesungenen Texte stammen aus dem zentralen hinduistischen Gedicht „Bhagavad Gita“. Sie stehen allerdings nur in losem Zusammenhang mit den einzelnen Szenen.

Unter den Solisten gefallen besonders Cathrin Lange mit ihrem klaren, tragfähigen Sopran in der Rolle von Gandhis Sekretärin Miss Schlesen. Nicholas Crawley (Parsi Rustomji/Krishna), Maren Favela (Kasturbai), Anna Rajah (Mrs. Naidoo), Sofia Pavone (Mrs. Alexander) und Karl-Heinz Brandt als mythologischer Krieger Arjuna beeindrucken ebenfalls durch vokale und choreographische Präzision und ein Höchstmaß an Konzentration. Selbst im musikalisch extrem dünnen dritten Akt nach der Pause, in dem Philipp Glass außer endlosen Tonleitern kaum mehr etwas einfällt, schaffen es die von Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui zu einer großen Einheit geformten Akteure auf der Bühne, der musikalischen Dauerschleife eine Richtung zu geben. Und halten so das Publikum wach.

Georg Rudiger

Weitere Vorstellungen: 12./ 14./16./18. Juni 2017