Antje Reinhard und Hanna Lehmann im Interview

„Unsere Stärke liegt in den Zeitstiftern“

Im Interview: Antje Reinhard und Hanna Lehmann
Im Interview: Antje Reinhard und Hanna Lehmann

Fragt man irgendwo in die Runde, wer etwas zu verschenken habe, so erntet man in der Regel verständnislose Blicke. Und doch gibt es sie, diese vielen Menschen, die – wenn sie vielleicht auch kein Geld übrig haben – sich mit ihrer Kreativität und vor allem mit jenem Gut, das in unserer Gesellschaft immer seltener wird, in die Allgemeinheit einbringen: Zeit.

Geld, Ideen und Zeit sind die drei Komponenten, auf denen eine Bürgerstiftung basiert. Hier werden sie, wiederum durch ehrenamtliches Engagement, zu Multiplikatoren, um in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. 2006 wurde eine solche von zirka 60 Gründungsstiftern in Freiburg ins Leben gerufen. Diese zählt zu den 275 Bürgerstiftungen in Deutschland, die vom Bundesverband der Deutschen Stiftungen anerkannt wurden. Mittlerweile laufen die Vorbereitungen zum 10-jährigen Jubiläum im nächsten Jahr, das mit allerlei (positiven) Umbrüchen aufwartet, wie Antje Reinhard vom Vorstand und Hanna Lehmann – Vorsitzende des Stiftungsrates und Regionalkuratorin Baden-Württemberg der Initiative Bürgerstiftungen – im Gespräch mit Friederike Zimmermann verraten.

Kultur Joker: Frau Reinhard, Frau Lehmann, wie kam es zur Gründung der Freiburger Bürgerstiftung und worin unterscheidet sie sich von anderen Bürgerstiftungen?
Hanna Lehmann: Angefangen hat alles damit, dass ich vor etwa fünfzehn Jahren in der Katholischen Akademie über das Thema „Stiftung und Mäzenatentum“ gearbeitet habe. Beginn und Anlass war dann schließlich, dass die Filmemacherin Reinhild Dettmer-Finke einen Beitrag zum Thema Stiftungen gedreht hat. Als dieser dann im Südwestrundfunk gezeigt wurde, war der Saal sehr gut besucht. Danach fragten wir uns alle: Warum hat Freiburg keine Bürgerstiftung? Und so ging aus der Bevölkerung – wie es ja auch wünschenswert und richtig ist – der Wunsch hervor, eine solche zu gründen.
Kultur Joker: Wie lange hat es dann gedauert, bis die Stiftung aktiv werden konnte?
Hanna Lehmann: Normalerweise brauchen Bürgerstiftungen, die von der Basis ausgehen, bis zu drei Jahren, um sich zu etablieren. Denn zunächst benötigt man eine bestimmte Anzahl von Gründungsstiftern, die das erforderliche (und vom jeweiligen Regierungspräsidium unterschiedlich festgelegte) Startkapital von 60.000 Euro aufbringen. Wir haben es aber tatsächlich geschafft, dieses Kapital – sogar mehr als das, nämlich 80.000 Euro – mit 60 Gründungsstiftern innerhalb eines Jahres zusammenzutragen. Darunter waren auch die Volksbank, die GLS-Bank und die Bank im Bistum Essen.
Kultur Joker: Das lief also von Anfang an sehr gut…
Hanna Lehmann: Absolut. Danach gab es eine Auftaktveranstaltung im BZ-Haus, was sehr gut besucht war. So konnten wir auch die Bevölkerung mit ins Boot nehmen und informieren. Wir gaben uns eine Satzung, die sich zwar an anderen Bürgerstiftungen orientierte, aber vor allem auch die „Zehn Merkmale einer Bürgerstiftung“ erfüllte, um die Anerkennung vom Bundesverband Deutscher Stiftungen zu erhalten. Ein besonderes Merkmal der Freiburger Bürgerstiftung sind vor allem Transparenz und die ethisch-ökologisch-sozialen Geldanlagen, durch die der Stiftungszweck bereits per se realisiert wird.

Kultur Joker: Diese Leitlinien befinden sich auch auf Ihrer Homepage und sind als pdf einsehbar…
Hanna Lehmann: Ja, Transparenz ist uns sehr wichtig. Das Grundkapital, das die Zinsen generiert, bleibt unberührt; nur die Zinsen dürfen ausgegeben werden. Dass wir unser Kapital mit diesen Ansprüchen anlegten, stieß auf eine hohe Akzeptanz – gerade in den Zeiten der Finanzkrisen, die bei weitem noch nicht beendet sind.
Antje Reinhard: Unsere eigentliche Stärke liegt aber in unseren vielen Zeitstiftern. Im Moment liegt das Stiftungsvermögen bei etwa 230.000 Euro. Dazu kommen aber noch eine große und mehrere kleine Treuhandstiftungen, so dass sich das Gesamtkapital auf zirka 460.000 Euro beläuft. Auch das kann man auf unserer Homepage einsehen.
Kultur Joker: Dort kann man in der „Anlage für die Leitlinien“ auch einen ganzen Katalog an „Ausschlusskriterien“ finden, etwa die „Herstellung von Kriegswaffen, Erzeugung von Atomenergie, Genmanipulation“ und so weiter – alles Dinge, die man sofort unterschreiben möchte. Ist das die spezielle Handschrift der Freiburger Bürgerstiftung?
Hanna Lehmann: Auf jeden Fall. Das war damals unser ausdrücklicher Wunsch und war ein absolutes Novum, dem sich inzwischen auch weitere Bürgerstiftungen und andere Stiftungen anschließen.
Antje Reinhard: (lacht)…eben passend zu Freiburg.
Hanna Lehmann: Das erreicht man dadurch, dass man versucht, Fonds oder Banken des Vertrauens wie etwa die GLS-Bank zu finden, die bereits dieselben Ausschlusskriterien beinhalten. Oder die Volksbank, die immerhin Transparenz zeigt und Kredite in der Region vergibt, was auch uns entgegenkommt, die wir ebenfalls die Region stärken wollen. Sie sehen, bereits mit den Kapitalanlagen hat man die Möglichkeit, Weichen zu stellen. Das wird sehr positiv gesehen.
Antje Reinhard: Da aber Geldanlagen momentan wenig Zinsen abwerfen, stehen wir mit unseren vielen Zeitstiftern, die praktisch ohne Kapital arbeiten, uns durch ihre Zeit und Arbeit aber im Grunde viel Kapital schenken, wiederum gut da. Damit können wir schon einiges bewegen. Zum Beispiel mit unserem Projekt „Sprint“, das die sprachliche und soziale Integration von Kindern mit schwachen Deutschkenntnissen vorantreibt. Dieses Projekt gab es schon zu Beginn und läuft heute immer noch; es wurde auch ausgezeichnet. Im kulturellen Bereich haben wir das Projekt „Stadtfotograf“ – „Der fremde Blick auf Freiburg“, das nach dem Prinzip der „Stadtschreiber“ jungen Fotografen und Fotografinnen die Möglichkeit bietet, unsere Stadt mit dem Blick von außen festzuhalten. Diese Arbeiten werden dann in öffentlichen Ausstellungen präsentiert. So findet immer zugleich ein Austausch statt, wie zuletzt 2013 mit der Innsbrucker Fotografin Claudia Fritz. Sie durfte wie auch schon die anderen „Stadtfotografen“ vier Wochen lang in einer Wohnung residieren, die von einer Freiburger Bürgerin zur Verfügung gestellt wurde. Derzeit sind diese Arbeiten im Green-City-Hotel zu sehen, im Herbst werden sie in unserer Partnerstadt Innsbruck gezeigt.
Hanna Lehmann: Dieses Projekt findet alle zwei Jahre statt. Es soll sich einem Thema widmen, dessen Ergebnis man in Form dieser Fotos dann auch sehen kann. Das erste Thema hieß: „Zuhause in Freiburg“; hier öffneten Freiburger Bürger aus verschiedenen Bevölkerungsschichten ihr Wohnzimmer; ferner wurden die Menschen an ihren Arbeitsplätzen gezeigt. Bei der jetzigen Ausstellung lautet das Thema: „Wem gehört die Stadt?“.
Antje Reinhard: Für unseren nächsten Fotowettbewerb planen wir zu unserem zehnjährigen Jubiläum Flüchtlinge mit einzubeziehen. Einige von ihnen werden fotografieren und dabei unter anderem von unserer Stiftungsrätin Reinhild Dettmer-Finke angeleitet. Diese Ausstellung werden wir dann im Jubiläumsjahr 2016 vorstellen.
Kultur Joker: Sie machen selbst Projekte, sind aber auch fördernd tätig. Das heißt, man kann bei der Bürgerstiftung auch Anträge stellen. Welche Voraussetzungen muss man dafür erfüllen?
Antje Reinhard: Die Kriterien sind auf unserer Homepage alle nachzulesen. Zum Beispiel übernehmen wir keine Gehaltskosten, keine Einzelförderungen.
Hanna Lehmann: Auf der anderen Seite sind wir im Regionalen Stiftungsverband sehr gut vernetzt, der von unserem Vorstand Dr. Wolfgang Klumb initiiert wurde, so dass wir Anfragen, die unserem Stiftungszweck nicht entsprechen, gut kommunizieren können. Das hat sich über die Jahre eingespielt.
Antje Reinhard: Das ist auch wichtig. Erst jetzt haben wir wieder festgestellt, dass man die Herausforderungen gemeinsam viel besser annehmen kann. Zum Beispiel kämpfen wir schon lange dafür, dass es in den Flüchtlingswohnheimen einen Internetzugang gibt. In Gesprächen stellten wir fest, dass die Oberle-Stiftung mit diesem Thema genauso befasst ist. Da macht es natürlich Sinn, dass wir uns zusammenschließen.
Hanna Lehmann: Das hilft uns auch, Manpower und Kapital zu bekommen. Zum Beispiel hat uns die Stiftungsverwaltung 2.000 Euro gespendet, um für die Flüchtlinge gebrauchte, gut erhaltene Fahrräder sowie Ersatzteile zu erwerben, damit diese auch wirklich Freiburg kennenlernen können. Gerne nehmen wir weitere gut erhaltene Fahrräder und Fahrradschlösser als Geschenk entgegen.
Antje Reinhard: Die Fahrräder werden gegen eine Kaution an die Flüchtlinge abgegeben, damit werden sie auch wertgeschätzt. Sehr gefragt sind die Fahrradreparaturtermine, die wir mit Unterstützung einiger Zeitstifter anbieten, darunter ein junger Mann aus dem Kosovo.
Hanna Lehmann: Das ist einfach toll: Er hat wenig Geld und bringt sich trotzdem ehrenamtlich ein. Gerade das finde ich für die Bürgerstiftung so bezeichnend: Menschen, die nicht so viel Geld haben, können ihre Talente einbringen und haben die Möglichkeit, ihre Stadt mitzugestalten. Das muss nicht dauerhaft sein, sondern kann auch punktuell stattfinden. Wir sind dankbar für einen Transport, für einen Kuchen, der für einen bestimmten Anlass gebacken wird, für Kurse, Praktikumsstellen oder auch Arbeitsplätze, die wir für die Asylbewerber suchen.
Antje Reinhard: Nehmen wir zum Beispiel das „Münsterderby“, unseren erfolgreichen Lese- Spende-Wettbewerb. Wir hatten zunächst als Logo den Münsterturm aus Büchern. Doch dann hatte ein Künstler die Idee, dieses Logo mit den gelesenen Büchern nachzubauen. Der Turm wurde schließlich 1,80 Meter hoch und stand tatsächlich mehrere Monate im Freiburger Münster.
Kultur Joker: Wie funktioniert denn da die Öffentlichkeitsarbeit?
Hanna Lehmann: Jede Bürgerstiftung ist total anders strukturiert, bei uns läuft sehr viel über das Kennenlernen und die Mundpropaganda.
Antje Reinhard: Wir sind mit unseren Projekten natürlich auch immer wieder in der Presse, doch haben wir bis jetzt niemanden, der ehrenamtlich unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Allerdings hatten wir in „Schleiner und Partner“, einer großen Werbefirma, die für uns das Logo und das ganze Layout der Münsterkampagne entworfen hat, eine große Unterstützung.
Hanna Lehmann: …und für uns gerade einen neuen Flyer macht. Bis vor kurzem hatten wir noch nicht mal Visitenkarten.
Antje Reinhard: …und wir hatten bisher kein Büro, also keinen festen Ort, an dem wir tagen konnten oder an dem sich all unsere Unterlagen befanden – es fand alles privat statt. Doch das hat sich jetzt ergeben: Ein toller Raum im Friedrichsbau, mit der Straßenbahn direkt vor der Tür. 17 Quadratmeter groß, zu dem man für spezielle Sitzungen noch zwei Räume dazu mieten kann. Das ist ein großer Schritt für uns!
Kultur Joker: Wie viele sind Sie denn überhaupt – neben den vier Vorständen und neun Stiftungsräten – zusammen mit den Zeitstiftern?
Hanna Lehmann: Das sind grob geschätzt 25 Leute.
Kultur Joker: Wird dann in diesem Büro auch jemand präsent sein?
Antje Reinhard: Dieses Büro, das wir mit Zeitstiftern und eventuell mit einem Minijob besetzen, soll eine Geschäftsstelle und Anlaufstelle sein für das ehrenamtliche Engagement. Wir sind gerade in der Planungsphase.
Hanna Lehmann: Dieser Raum wird übrigens nicht von dem Stiftungsgeld, sondern allein durch Projektspenden finanziert. Wichtig bleibt für uns auch in Zukunft der Kontakt zu der Initiative Bürgerstiftung und die Anerkennung durch den Bundesverband Deutscher Stiftungen, weil er ein gesundes Regulativ und Ratgeber ist.
Antje Reinhard: Zudem gibt es durch die regionalen und überregionalen Treffen auch immer Kontakt zu anderen, die einen dann wieder auf neue Ideen bringen. Wir werden dort das nächste Mal von „Cutting for“ berichten, einer Benefizaktion von dreizehn verschiedenen Freiburger Friseursalons, die am 15. Juni für die Aktion „Willkommen in Freiburg“ im Salon „Semeraro hair-lounge“ den ganzen Tag Haare schneiden. Hier setzt also eine Berufsgruppe ihr Handwerk ein, um den Erlös dann an die Bürgerstiftung weiterzugeben.
Hanna Lehmann: Damit haben wir auch gleich mal eine große Öffentlichkeit hergestellt. Die Leute, die beim Haarschnitt sitzen erfahren nicht nur etwas über die Bürgerstiftung sondern zugleich auch etwas über das Thema Asylbewerber. Auf diese Weise sehen die Freiburger, dass man auch etwas tun kann. Es gibt noch viele andere Berufsgruppen, die so etwas entwickeln könnten – uns einen ganzen Tag schenken. Es würde uns freuen!
Kultur Joker: Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche der Freiburger Bürgerstiftung schon jetzt alles Gute zum 10-jährigen Jubiläum in 2016!

Infos zur Freiburger Bürgerstiftung: www.freiburger-buergerstiftung.de